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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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wie das aufgeregte Klingeln eines kleinen
Silberglöckchens, und beide Männer waren augenblicklich auf den Füßen. Der
Gouverneur eilte zur Westwand und schob einen mit Schriftzeichen bedeckten Bogen
in einem Bambusrahmen beiseite. Dahinter kam eine kleine Geheimtür zum
Vorschein. Leider versperrte mir dann sein Rücken die Sicht, so daß ich nicht
erkennen konnte, wie er sie öffnete, doch als er sich wieder umdrehte, konnte
ich nur mit Mühe einen lauten Ausruf unterdrücken. In den Händen hielt er einen
alten Käfig, der den anderen beiden genau glich, und der Ton schien aus seinem
Innern zu kommen. Der Gouverneur ging zum Tisch zurück und stellte den Käfig
darauf. Dann sah ich einen winzigen Lichtpunkt, der in seiner Mitte glühte und
im Rhythmus des Glockentons pulsierte. Der Gouverneur hantierte an der
Vorderseite des Käfigs herum, doch ich konnte nicht erkennen, was er tat, da
seine Schulter mir die Sicht versperrte. Das Glockenläuten hörte unvermittelt
auf. Der kleine Lichtpunkt dehnte sich aus, bis das Leuchten den Käfig fast
ausfüllte, und dann sprangen mir fast die Augen aus den Höhlen. Menschliche
Züge nahmen hinter den Gitterstäben Gestalt an, und es formte sich das Gesicht
eines der ranghöheren Mandarins, den ich bei Ma Tuan Lins Trauerfeier gesehen
hatte! Meister Lis Finger bohrten sich wie Messer in meine Schulter, und die
Falten um seine Augen hatten sich zu so engen Kreisen zusammengezogen, daß ich
mich fragte, wie er überhaupt noch etwas sehen konnte. Dann öffnete sich der
Mund des Mandarins, und wir hörten seine Stimme so deutlich, als befände er
sich leibhaftig mit uns im Raum.
    »Verehrte Kollegen, eine
unglaubliche Entwicklung hat stattgefunden! Unglaublich !« stieß er hervor und spuckte dabei vor Aufregung. Er rang sichtlich um Fassung.
»Alle unsere Hoffnungen und Träume, die obersten Ziele, die wir uns gesetzt
haben und an deren Erfüllung wir schier verzweifelt sind, sind nun vielleicht
in erreichbare Nähe gerückt! Man würde mir keinen Glauben schenken, wollte ich
es selbst erklären. Ich fühle mich zutiefst geehrt und bin außer mir vor
Freude, Euch die Botschaft von der Quelle zu überbringen. Weitere einleitende
Worte wären eine grobe Anmaßung .«
    Sein Bild flimmerte und
löste sich auf wie eine Wolke, die auseinanderreißt, und dann begannen sich die
Stücke wieder zusammenzufügen. Unverkennbare Züge füllten den Käfig aus, und
ich unterdrückte einen Aufschrei. Es war das Gesicht des Himmlischen Meisters.
    »Ihr seid also die Kumpane
dieser Kreatur, wie ?« ließ sich der Heilige milde
vernehmen. Dann rötete sich sein Gesicht, und seine Stimme wurde zu einem
Donnergrollen. »Ihr törichten Esel! Ihr verweichlichten Ohrwürmer! Ihr
idiotischen Affen, die nichts weiter können, als aus ihren eigenen Fäkalien ein
Abendessen zu bereiten! Steckt euch die kotverschmierten Finger in die Ohren
und pult die Mistkäfer heraus, denn ich bin im Begriff, euch die Fehler eures
schwachsinnigen Unternehmens vorzuführen !« Der Große
Gouverneur war wie erstarrt, Li die Katze dagegen bedauerlicherweise nicht. Er
packte den Gouverneur am Arm und deutete aufgeregt zur Tür. Schließlich begriff
der Gouverneur die einfache Botschaft, daß in Palästen Lauscher so gut gedeihen
wie die Ratten in Kornspeichern, worauf er den Käfig schnappte und, gefolgt von
dem Eunuchen, zur Südseite des Raumes rannte. Sie öffneten eine kleine Tür,
eilten hindurch, und als die Tür mit einem lauten Schlag hinter ihnen zufiel,
verstummte das wütende Grollen des Himmlischen Meisters abrupt.
    Meister Li stieß seinerseits
einen Schwall ätzender Worte aus, während er hinter dem Wandschirm
hervorstürzte und zur Tür hastete. Sie gab nicht nach, und als ich mich bückte
und durch einen winzigen Spalt spähte, erkannte ich, daß auch ein Dietrich
nicht helfen würde. Auf der anderen Seite war ein schwerer Riegel vorgeschoben,
und das einzige, was uns weiterbringen würde, wäre ein Rammbock gewesen.
    »Wir müssen hören, was der
Himmlische Meister vorhat«, sagte Meister Li finster. »Er ist schon zu lange
fern von den schmutzigen Geschäften der Welt, und er hat keine Ahnung, wie
gefährlich es ist, Männer überlisten zu wollen, denen die Strafe der Tausend
Schnitte droht, wenn sie erwischt werden. Ochse, wir gehen über das Fenster
zurück .«
    Er sprang auf meinen
Rücken, und ich setzte über die Balkonbrüstung und schwang mich die Mauer
hinunter, bis wir die Ebene des

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