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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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nahm er mich in seinen Würgegriff und drückte mit solcher Macht, daß meine
Knochen bald zu Brei gequetscht sein würden, und ich keuchte, solange ich noch
Luft hatte: »Werft! Werft !«
    Ich hatte gehofft, die
Schlange abzulenken, und das gelang mir auch. Meister Li warf das Messer, so
gut er konnte. Es drehte sich einmal in der Luft, bevor es in den Rücken der
Schlange fuhr. Vermutlich fühlte es sich an wie der Biß einer Ameise. Er warf
einen Blick über die Schulter zurück und sah die Hand aus der Vase ragen. Laut
fauchend suchte er sein Gleichgewicht zu halten, dabei lockerte er seinen
Würgegriff. Ich riß mich mit allen mir noch verbliebenen Kräften los und hob
die Schlange hoch. Es brach mir fast das Kreuz, aber es gelang mir, ihn mit den
Füßen vom Teppich zu heben. Mir blieb gerade noch genug Energie für einen
verzweifelten Gedanken: Meine einzige Chance war, ihn mit dem Rücken auf die
scharfe Kante eines schweren Marmortischs zu schmettern. Ich gab mir alle Mühe,
doch in dem Augenblick, als ich ihn nach unten schleuderte, merkte ich, daß ich
versagt hatte. Sein Rücken verfehlte die Kante, und die Schlange donnerte auf die
glatte Tischplatte. Seine kalten Reptilienaugen waren starr auf mich geheftet.
Ich versuchte, zu einem Genickschlag auszuholen, doch ich hatte keine Kraft
mehr in den Armen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, mit den Augen zu
zwinkern. Meine Beine waren ohne Gefühl, und als ich nach hinten wegrutschte,
klammerte ich mich hilflos an ihm fest. Er verfolgte mich mit den Augen, kalt,
hart, gefühllos, ungerührt, dann stürzte ich zu Boden, und die Schlange landete
neben mir.
    Er lag auf der Seite, die
reglosen Reptilienaugen immer noch starr auf mich gerichtet, und mir wurde
endlich klar, daß ein kleines
    Wunder geschehen war.
Meister Lis Messer war nur durch den Stoff und ein winziges Stück in die
Oberhaut seines Rückens gedrungen und dort harmlos auf und ab gewippt, aber
irgendwie war es in genau die richtige Position gefedert, als die Schlange auf
die Tischplatte geprallt war. Er hatte es sich bis übers Heft hinaus in den
Rücken gerammt, mitten ins Herz, und neben mir lag eine Leiche.
    11
    Als ich in die Vase spähte,
sahen mich Meister Lis ungläubige Augen an: »Du lebst ?« fragte er.
    »Meister«, entgegnete ich,
»ist uns irgendeine Gottheit noch etwas schuldig? Wenn nicht, werden wir bald
bankrott sein, da wir Räucheropfer für das gesamte Pantheon zu entrichten haben .« Ich schaffte es, ihn aus der Vase zu befreien, ohne sie
zu zerbrechen, und nachdem ich seine Beine massiert hatte, konnte er bald
wieder leidlich umherhumpeln. Als ich ihm berichtet hatte, was geschehen war,
betrachtete er die tote Schlange und schüttelte verwundert den Kopf. Dann
machte er mich auf einen unangenehmen Aspekt aufmerksam, den ich bis jetzt
nicht beachtet hatte. »Es ist ausgeschlossen, die Wunde in seinem Rücken so
herzurichten, als hätte es sich um einen Unfall gehandelt«, sagte er. »Wir
sehen Unannehmlichkeiten entgegen, aber der erste Schritt steht fraglos fest:
Wir müssen dafür sorgen, daß die Leiche verschwindet .«
    Ich setzte ein paarmal zu
einem Vorschlag an, schwieg dann aber lieber. Der Große Gouverneur würde
notfalls das ganze Schloß Stein für Stein abtragen, er würde den Burggraben
leeren und Taucher in die Brunnen hinunterschicken, und wenn Meister Li sagte,
daß die Schlange verschwinden mußte, dann meinte er verschivin-den.
    »Als erstes müssen wir ihn
aus diesem widerwärtigen Liebesnest fortschaffen, und das zumindest ist
einfach«, erklärte Meister Li bestimmt.
    Ich legte den Weg über die
Treppe und die Außenmauer in den Garten hinunter zweimal zurück, einmal mit
Meister Li, das zweite Mal mit der Schlange auf dem Rücken. Die Leiche paßte in
eine große Schubkarre (eine Erfindung, die ich für die Barbaren unter den
Lesern in einem früheren Band meiner Erinnerungen beschrieben habe), und mit
einer Plane aus Sackleinen deckten wir sie zu. Dann ließ sich Meister Li bequem
darauf nieder, und ich schob ihn an den Wachen vorbei, während er unter
Schluckauf seinen Weinschlauch schwenkte und unflätige Lieder grölte . Der Hauptmann der Wache verbeugte sich nur. Nach
einem Kampf, wie ihn der alte Schamane ausgefochten hatte, um die Frau des Großen
Gouverneurs zu retten, konnte man nichts anderes erwarten, als daß er sich
sinnlos betrank, und niemand dachte auch nur im Traum daran, dagegen
einzuschreiten. Ich schob Meister Li zum Wagen des

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