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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Puppenspielers, wo ich die
Schubkarre mit der Leiche darin stehenließ, überzeugt, daß sich niemand allzu
nahe an das Gefährt des alten Mannes heranwagen würde. Nichts ist gefährlicher
als ein betrunkener Schamane. Im Wagen wurden wir von Yen Shih begrüßt. Im
Wageninnern herrschte drangvolle Enge, weil jeder Zentimeter mit
Puppenspielerrequisiten zugestellt war. »Wir haben ein Problem«, sagte Meister
Li. Yen Shih zog eine Augenbraue hoch.
    »Da draußen in der
Schubkarre liegt eine Leiche«, fuhr Meister Li fort.
    Yen Shih zog die andere
Augenbraue hoch.
    »Es ist die Leiche dieses
Schlangenmenschen, der Ochse beinahe umgebracht hätte, und wir müssen annehmen,
daß der Große Gouverneur jeden Tropfen Wasser und jedes Staubkorn durchsuchen
wird, bis er diesen Sohn einer Schlange gefunden hat«, erklärte Meister Li. Yen
Shih nickte.
    »Im Augenblick habe ich
zwei Vorschläge zu machen«, sagte Meister Li. »Der erste wäre, die Leiche so
herzurichten, daß sie wie eine deiner größeren Marionetten aussieht .«
    Yen Shih deutete auf den
Mond und machte kreisende Bewegungen, um zu demonstrieren, daß die Zeit
verging, dann hielt er sich die Nase zu und zeigte damit Gestank an.
    »Der zweite wäre der, eine
Erklärung dafür zu suchen, wie ein Tiger den Wassergraben und die Palastmauern
überwinden und den miesen Kerl fressen konnte«, sagte Meister Li.
    Yen Shih zuckte die Achseln
und breitete die Arme aus - ja, wie?
    »Laß uns nachdenken«, sagte
Meister Li, und die Runzeln um seine Augen zogen sich zusammen, während Yen
Shih zu der Leinwanddecke aufblickte und vor sich hin summte. Dann hörte er
plötzlich auf zu summen.
    »Für morgen«, begann der
Puppenspieler bedächtig, »hat der Große Gouverneur ein Festmahl zur Feier der
Genesung seiner Frau angesetzt .«
    »Und bei dieser Gelegenheit
wird ein Tiger die Schlange fressen ?« warf Meister Li
ein.
    »Bei dieser Gelegenheit
wird der Große Gouverneur vom Gänsetor die Schlange verspeisen«, sagte Yen
Shih. Ich hielt das für einen schlechten Scherz, im Gegensatz zu Meister Li. Er
betrachtete den Puppenspieler mit unverhohlener Bewunderung.
    »Mein Freund, du bist ein
Genie !« rief er.
    »Aber das meint er doch
nicht ernst«, wandte ich ein. Dann wanderte mein Blick von Yen Shih zu Meister
Li und wieder zurück zu Yen Shih. »Oder doch ?« fügte
ich unsicher hinzu. Ich würde das, was dann folgte, lieber nicht beschreiben,
aber wenn es mir darum geht, einen ehrlichen Bericht über Meister Lis Abenteuer
abzugeben, bleibt mir keine andere Wahl. Ich will also auch den Teil der
Geschichte nicht auslassen, die mich in einem noch törichteren Licht erscheinen
läßt als gewöhnlich. Während der folgenden schrecklichen Stunden klammerte sich
mein Geist beharrlich an ein Bild, das überhaupt nichts mit der Sache zu tun
hatte. Ein Bild, das sich in mir während der Szene geformt hatte, mit der ich
diese Erzählung begonnen habe, und ich weiß wirklich nicht, warum es mir jetzt
wieder in den Sinn kam und wie eine Klette im Kopf klebte, aber da war es nun
einmal. Ständig sah ich vor mir einen widerwärtigen Barbaren mit steinernem
Gesicht und Augen wie Eiszapfen, der an einem Ort namens Sabinerberge in Sack
und Asche ging und schreibenderweise seinen Pinsel in Viperngift tauchte, um
danach seine schwachsinnige Literaturkritik bis nach China zu schicken.
    Na schön, Flaccus, sagte
ich zu mir, während ich eine Riesenladung Gemüse zur Schloßküche karrte, was
soll ich deiner Meinung nach tun? Behaupten, es läge keine Leiche unter den
Rüben, weil Leichen übertrieben melodramatisch sind? Bah, Freund Flaccus. Bah!
Bah! Bah!
    In einem großen Palast gibt
es immer eine kleine Extraküche, in der die Opferspeisen zubereitet werden, die
den Geistern und Göttern dargebracht werden. Man erwartet es geradezu von einem
Schamanen, daß er den Göttern, die ihm beigestanden haben, ein Opfer zu bringen
wünscht und daß er seinen verehrten Gastgeber einlädt, an dem Festmahl
teilzunehmen. Meister Li hatte keine Schwierigkeiten, die Küche unter seine Obhut
zu bringen, und wenig später hatte er die Leiche mit Yen Shihs Hilfe auf den
Küchentisch gelegt, und gemeinsam trennten sie die Kleider auf. Um die Wahrheit
zu sagen, glaubte ich immer noch nicht recht, was ich mit eigenen Augen sah.
    »Ochse, siehst du nach, ob
wir Schweinefußsülze haben ?« wandte sich der
Puppenspieler an mich. Dann drehte er sich wieder zu Meister Li um. »Mir
scheint, daß es das beste

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