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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Empfangssaales erreicht hatten, der eigentlich
eher einem Thronsaal glich. Auf einer Empore, die dem Mittelturm vorgebaut war,
stand der hohe, vergoldete Sitz des Großen Gouverneurs. Ich habe vergessen, zu
erwähnen, daß der Palast im sogenannten Pinien-baum-Stil erbaut war, das heißt,
von einem in der Mitte aufragenden Steinturm gingen Stützbalken aus, die sich
wie Äste zu den Außenmauern spannten.
    »Ochse, der Weg, den sie genommen
haben, schien zum Turm hin zu führen, und in fast allen Pinienbaum-Palästen
dient der Innenturm als Ort für geheime Konferenzen sowie als Quelle für Licht
und Luft«, sagte der Weise.
    Auf sein Geheiß durchquerte
ich den Saal, eilte zu der Empore und zog die Vorhänge hinter dem
Gouverneurssitz beiseite. Hinter dem dritten Wandteppich stieß ich auf das, was
er erwartet hatte: eine schmale, lackierte Tür, hinter der eine Wendeltreppe
zum Vorschein kam. Ich stürmte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf,
in der Hoffnung, daß der Himmlische Meister immer noch laut genug schimpfte, um
das Klappern meiner Sandalen auf dem Steinboden zu übertönen. Als wir aber das
Stockwerk erreichten, in dem sich das Arbeitszimmer des Gouverneurs befand,
stellten wir fest, daß es dort nicht nur einen Raum, sondern deren zwei gab,
und um in den zweiten zu gelangen, mußten wir den ersten durchqueren. Ich ahnte
die Gefahr in dem Augenblick, als Meister Li von meinem Rücken herunterrutschte
und eine goldbeschlagene Tür öffnete. Er deutete auf die gegenüberliegende,
ebenfalls goldbeschlagene Tür und flüsterte: »Wenn mich mein Orientierungssinn
nicht täuscht, müßten sie dort drinnen sein .«
    Ich glaubte, eine
undeutliche Stimme zu hören, die dem Himmlischen Meister hätte gehören können,
aber im Augenblick interessierte mich mehr der Raum, den wir zu durchqueren
hatten, um an unser Ziel zu gelangen.
    Wir bewegten uns über einen
Hermelinteppich, der ungefähr zehn Zentimeter dick war. Die Wände des Raumes
waren mit Samt bespannt, und den Mittelpunkt bildete ein gewaltiges Bett mit
Überwürfen aus glänzendem Satin. Überall hingen schmeichelhafte Porträts
derselben Kreatur. Es waren Abbildungen der Schlange, und ich war nicht in der
Stimmung, den Gouverneur zu dem Einfall zu beglückwünschen, sowohl seinen
Konferenzsaal als auch seinen Lustknaben in erreichbarer Nähe seines
Arbeitsraumes unterzubringen. Ich schluckte geräuschvoll, und während ich auf
Zehenspitzen Meister Li über den dicken Teppich folgte, versuchte ich mich, so
gut es ging, unsichtbar zu machen. Aber es nützte mir nichts.
    Kaum hatte ich einem
drachenverzierten Wandschirm den Rücken gekehrt, da traf mich ein fliegender
Baumstamm oder etwas, das sich genauso anfühlte. Ich glaube, ich flog immer
noch durch die Luft, als die Schlange Meister Li aufhob und fein säuberlich in
eine große Malachitvase stopfte. Die Samtbespannung dämpfte den Schlag, als ich
gegen die Wand prallte. Mühsam raffte ich mich von dem Hermelinteppich auf, um
mich auf das Reptil zu stürzen, das fröhlich zischende
Laute von sich gab. Da ich vorwitzig genug war, mit dem Kopf voran anzugreifen,
kickte er mein Kinn von der linken Sandale zur rechten und wieder zurück, als
würde er mit dem Gummiball eines Kindes spielen. Als ich wieder auf dem Teppich
landete, bemerkte ich ein merkwürdiges Zucken in seinem Gesicht. Die Schlange
lächelte über den braven kleinen Ochsen, der gekommen war, ihn zu unterhalten,
indem er sehr langsam das Zeitliche segnete. Sein Schlag mit der Handkante war
beinahe gutmütig, jedenfalls nicht fest genug, um mir das Genick zu brechen.
Ich schaffte es, mich herumzurollen und kraftlos nach ihm zu treten, und als
die Schlange es zuließ, daß ich wieder auf die Füße kam, war klarer denn je,
daß er sein Spielchen mit mir trieb. Hinter ihm reckte sich eine runzelige
Greisenhand aus der Vase hervor und hielt ein Wurfmesser umklammert. Meister Li
konnte seinen Arm nur wenige Zentimeter bewegen, er war außerstande zu werfen,
aber er konnte versuchen, mir das Messer zu geben. Doch wie sollte ich an der Schlange
vorbeigelangen, um es mir zu holen? Mir blieb nichts weiter übrig, als
anzugreifen und zu beten, und fast wäre es mir gelungen, ihn von den Füßen zu
heben und aus dem Gleichgewicht zu bringen. Unseligerweise erweckte ich damit
seinen Zorn. Er fauchte mich an und hörte augenblicklich auf zu spielen. Seine
Arme schnellten in die Höhe und fegten meine Umklammerung mühelos auseinander.
Dann

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