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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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kratzen,
    Tigerbrüllen dringt zu
Jadedrachen empor,
    Die sich aufbäumen in
ihrem Geschirr, bocken und
    ausschlagen: Tigerlachen
begleitet eine kleine Gestalt,
    Die kopfüber purzelt
durch Sternenlicht und Mondenschein,
    Durch den Himmel
hinabstürzt in den Schmutz der Erde.
    Der Jüngling landet
unbeschadet in einem Sumpf, von wo aus er einen Weg einschlägt, der ihn zu
einem Schrein der Königin bringt. Dort findet er die Früchte seines Lebens mit
einer Göttin. In zwei Kästchen findet er zwei kleine Kinder und zwei Amulette,
auf denen ihre Namen stehen. Der Junge ist ein verwachsenes, kümmerliches
kleines Wesen, und auf seinem Amulett steht Huai-I, Bosheit. Das
Mädchen ist sehr schön, hat aber furchterregende Augen, und auf ihrem Amulett
steht Feng-lo, Wahnsinn. In einer dritten Schachtel findet der
junge Mann einen Spiegel und ein Amulett, auf dem Chi-tu, Neid,
zu lesen ist. Als er in den Spiegel blickt, stellt er fest, daß die Göttin
wahrhaftig einem hübschen Jüngling das Gesicht des Neides gegeben hat. Er reißt
Bosheit und Wahnsinn an sich, flieht in wilden Sprüngen in die Wälder, und dann
endet seine Geschichte mit einer höchst eigenartigen Strophe:
    »Blaue Waschbären weinen
blutige Tränen,
    Und zitternd sterben die
Füchse,
    Eulen mit
tausendjährigem Leben Lachen hysterisch.
    Ein weißer Hund, der den
Mond anbellt,
    Ist der Hahnenschrei des
Toten;
    Auf seinem Grab singt
ein grauer Geist Das Lied eines Götterboten .«
    Wir traten von der letzten
Inschrift zurück und sahen uns ratlos
    »Gütiger Buddha, das klingt
wie ein schwachsinniger Kindervers«, bemerkte Yen Shih.
    »Entweder das oder wie Li
Ho mit einem schrecklichen Kater«, ergänzte Meister Li.
    Er hatte darauf bestanden,
uns jedes Wort der Inschrift zu übersetzen, bevor wir weitergingen zu dem
Kunstwerk, von dem uns die Tochter des Banditenchefs berichtet hatte. Jetzt
zwängten wir uns durch eine schmale Öffnung und wandten uns nach links, wo uns
eine weitere von einem Sonnenstrahl erleuchtete Höhlenkammer erwartete. Der
sonst so unerschütterlichen Yu Lan stockte der Atem, und ich stieß einen
unterdrückten Schrei aus.
    Vor uns sahen wir unseren
Dieb, vor Jahrhunderten an die Wand gemalt und immer noch in fast allen
Einzelheiten deutlich zu erkennen. Um den Hals des Affenmannes hing das Amulett
mit der Aufschrift Neid, und in den Armen hielt er die schrecklichen
Kinder Bosheit und Wahnsinn. Er hatte den Kopf gesenkt, und im nächsten
Augenblick sollte ich erfahren, warum dieser Ort dem Yin gewidmet war und nicht
dem Yang. Meister Li nahm mir die Fackel aus der Hand, zündete sie an und
schwenkte sie zu der Wand hinüber, die dem verwandelten Edelmann gegenüber in
tiefem Schatten lag. Meine Leber gefror zu Eis.
    Niemand rührte sich oder
sprach ein Wort. Wir blickten auf ein Bild, das doppelt so groß war wie das von
Neid, und ich habe selten etwas Beängstigenderes gesehen.
    »Neid muß der tollkühnste
Abenteurer aller Zeiten gewesen sein«, sagte Meister Li mit ehrfürchtiger
Stimme. »Das ist Hsi Wang Mu, die mächtige und furchtbare Königin des Westens,
in ihrer ganzen Größe, die sie besaß, bevor wir Chinesen versuchten, sie zu
zähmen, um sie unserem Götterhimmel einverleiben zu können. Nun wundert mich
das Totem draußen vor der Höhle nicht mehr. Die Dame ist die Patronin der Pest,
und ihre Diener sind die Raben der Vernichtung .«
    Meister Li folgte Yu Lans
Beispiel, die auf die Knie gefallen war und ihre Verneigungen und Kotaus
zelebrierte, und Yen Shih und ich taten es ihr nach. Dann erhoben wir uns
schweigend, und ein Schauder überlief uns beim Anblick des Bildes. Die Göttin
war wunderschön, wenn man davon absah, daß aus ihrem Mund Tigerzähne
hervorragten, ihre Hände in Tigerkrallen übergingen und ihr Unterleib die
Herkunft aller Göttinnen aus dem Wasser dadurch symbolisierte, daß er sich zu
einem mächtigen, schuppenglänzenden und geringelten Drachenschwanz verjüngte.
In ihren Augen war kein Wissen von der Vergänglichkeit der Zeit, sie kannten
keine Schwäche und kein Mitleid, und plötzlich verstand ich die Verszeile des
großen Dichters Li Ho, die Meister Li einmal erwähnt hatte: »Wenn der Himmel
Gefühle hätte, würde auch der Himmel altern.«
    Meister Li brach den Bann,
indem er sich wieder zu dem verzauberten Edelmann wandte.
    »Entweder geistert er nach
3000 Jahren immer noch durch die Welt, oder Ochse und ich haben den größten
Imitator der Welt gesehen«, bemerkte er. »Man fragt

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