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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Wasser aus den austrocknenden Flüssen zu sammeln. Kein
Wölkchen stand am Himmel, es herrschte drük-kende Hitze, und Bonzen wie
Tao-shih arbeiteten Tag und Nacht an Regengebeten und -ritualen. Wenn Yu Lan
des Nachts gerufen wurde, ging es fast immer um Regenzeremonien. Von Reisenden
erfuhren wir, daß die Lage dort, wo sie herkamen, ähnlich war, und als wir uns
Peking näherten, nahm die Hitze und Trockenheit sogar noch zu.
    Unterwegs erstand Meister
Li alchimistische Ingredienzen und Gerätschaften und einen Ballen gräßlichen, billigen
Tees. Dann machte er sich ans Experimentieren, um eine Methode zu finden, wie
man aus wertlosem ta-cha einen choo-cha machen konnte, der mit
seiner Vollkommenheit einem Kaiser zur Freude gereichen würde, und eines
Nachts, als wir gerade unser Lager aufschlugen, schrie er: »Kommt herbei, meine
Kinder, dann will ich euch ein Wunder zeigen!«
    Yen Shih legte einen Rost
über das Lagerfeuer, wie Meister Li ihn angewiesen hatte, und Yu Lan holte die
größte Bratpfanne herbei. Die Teeblätter, die Meister Li auf einen Tisch
häufte, waren wirklich von der übelsten Sorte, groß, hart und am Rand
zerfasert, und der Geruch war gleichermaßen unangenehm. Meister Li erhitzte die
Pfanne, warf Teeblätter hinein und fügte eine geringe Menge gelben Pulvers
hinzu.
    »Tamarinde«, erklärte er.
»Es ist aus der Frucht eines großen Baumes, deren harte Kerne sehr viel
Weinsäure und Pottasche enthalten, und es kostet ein Vermögen. Aber man braucht
nur winzige Mengen davon. Der Name ist arabisch und bedeutet »Indische
Dat-tel, was eigentlich merkwürdig ist, weil der Baum weder aus Arabien
noch aus Indien stammt, sondern aus Ägypten importiert worden sein muß .«
    Während er den Inhalt aus
zwei Gläsern in einen Mörser schüttete, erklärte er: »Eisenprussiat und
Calciumsulfat oder, wenn es euch lieber ist, Preußischblau und Gips. Seht ihr,
wie das Prussiat die Farbe wechselt ?«
    Indem er die Substanzen mit
einem Stößel vermischte, wurde das Blau heller und nahm eine leichte
Schattierung von Grün und Violett an. Yu Lan rührte indessen in der Pfanne, wo
sich die Blätter mit der Tamarinde vermischten und von häßlichem Schwarz in ein
wunderschönes Gelborange übergingen. Als die blaue Färbung ganz verblaßt war,
schüttete Meister Li das Gemisch in die Pfanne, nahm Yu Lan den Löffel aus der
Hand und rührte und schüttelte heftig, bis sich vor unseren Augen etwas
Aufsehenerregendes ereignete.
    »Hol mich der Teufel !« rief Yen Shih aus.
    Die jämmerlichen Blätter
färbten sich grün wie echter Haisan. Außerdem nahm der Geruch, der aus dem
Tiegel aufstieg, ein immer köstlicheres Aroma an, und dann geschah das
Allerunglaub-lichste. Die Blätter des echten Vor-den-Regenfällen, des besten
Frühlingstees, müssen, da sie sehr zart sind, sorgsam mit der Hand gerollt und
gedreht werden, und diese Blätter taten das von selbst und ohne irgendwelches
Zutun! Die Blätter rollten und strafften sich, ihre vorher grobe Form wurde
anmutig und fein, die ausgefransten Ränder glätteten sich, und wir blickten auf
einen vollkommenen Tee von allerhöchster Qualität. Gut genug für einen Kaiser,
und genau darum ging es.
    »Es ist in Aussehen und
Geruch vollkommener Tribut-Tee«, erklärte Meister Li fröhlich. »Er hat
tatsächlich nur den einen Fehler, daß er zu vollkommen ist: er zeigt ein
einheitliches Blaugrün, während der echte Tee schwach gelbliche
Unregelmäßigkeiten aufweist. Für den Transport würde man ihn zu kleinen Platten
pressen und mit dem Kaiserlichen Siegel versehen, genau wie das Zeug, das die
Mandarine an leichtgläubige Barbaren verkaufen, und sie können es tonnenweise
auf den Markt werfen. Ich würde die Gewinnspanne auf 10000 Prozent schätzen.
Ein großartiges Geschäft!«
    Der Geschmack war wieder
eine andere Sache. Wir brachten einen Topf Wasser zum Kochen, und als wir den
Tee kosteten, spuckten wir ihn prompt wieder aus. Er war gräßlich. Meister Li
äußerte die Überzeugung, daß die Mandarine einen gewissen Anteil anständigen
Tee beimischen mußten, um ihn genießbar zu machen. Der Dampf, der von meiner
Schale aufstieg, ließ die Bilder vor meinen Augen verschwimmen, und ich hatte
den Eindruck, daß Yen Shih mich böse anstarrte, doch als ich in den Dampf
blies, sah ich, daß er lediglich den Teegeschmack mit einer Grimasse bedachte.
Yu Lan räumte den Tisch ab: still, würdevoll, unerreichbar wie eine
vorüberziehende Wolke, verstohlen lächelnd.
    Mein

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