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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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hatte der Kapitän das Einholen der Segel angeordnet und drehte bei. Ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen. Das Getrappel und Geschrei war sicher auch unter Deck zu hören. Obwohl ihre Mutter sich vermutlich Sorgen deshalb machte, konnte sich Johanna nicht dazu durchringen, ihren Aussichtsposten zu verlassen.
    Die Angst um den Kameraden beflügelte die Matrosen im Beiboot, sich mit doppelter Kraft in die Riemen zu legen, doch die See schien den Unglücklichen verschluckt zu haben. Johanna starrte auf das Wasser, bis ihr Kopf von den hellen Reflexionen schmerzte.
    Plötzlich ertönte ein weiterer Schrei. Etwas erhöht, auf einem Deckaufbau, stand Friedrich von Trebow, das Teleskop vor Augen, und winkte aufgeregt. Neben ihm erkannte Johanna Henry Farnell, von Trebows Freund, der erst in Kalkutta an Bord der
Ganges
gekommen war. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie Friedrich von Trebow Farnell das Teleskop reichte und immer wieder in eine Richtung zeigte, weit entfernt von der Suchmannschaft im Beiboot.
    Dann ging alles ganz schnell. Ein Raunen lief durch die Menge, als Farnell von dem Aufbau heruntersprang, kurz mit einigen jungen Leuten sprach und sich gemeinsam mit ihnen an einem zweiten Beiboot zu schaffen machte. Von der Schiffsmannschaft war niemand zu sehen. Die Offiziere hatten wohl an einer Stelle Position bezogen, von der aus sie das Meer besser überblicken konnten als vom Passagierdeck. Bevor jemand die jungen Männer an ihrem Vorhaben hindern konnte, löste sich das Beiboot und klatschte ins Meer. Farnell entledigte sich als Erster seines Jacketts und der Schuhe und hechtete dem Boot mit einem tollkühnen Sprung nach. Überraschte Ausrufe und Applaus brandeten auf, als er tief unter ihnen durch die Wasseroberfläche brach und sich nach dem Auftauchen über die Bordwand des Beiboots hievte. Zwei weitere junge Männer taten es ihm nach.
    Johanna hielt aufgeregt die Luft an, als auch Friedrich von Trebow zur Reling hastete. Farnell winkte ihm, gleich musste auch er den Sprung wagen. Johannas Herz pochte angstvoll, doch gleichzeitig regte sich unbändiger Stolz auf diesen schneidigen Kerl in ihr. Farnell rief etwas, von Trebow antwortete und trat einen Schritt zurück. Täuschte sie sich, oder sah sie Angst in seiner Miene? Nein, das war unmöglich, dachte Johanna. Sie war zu weit entfernt, um seine Züge deutlich genug erkennen zu können. Die anderen beiden Männer saßen mittlerweile im Beiboot, ergriffen jeweils ein Ruder und pullten in die zuvor angezeigte Richtung – ohne von Trebow, der mit dem Teleskop die Wasseroberfläche absuchte. Plötzlich gab er ein Zeichen. Das Boot schnellte vor. Angespannte Stille senkte sich über die Menschen an Bord. Die Minuten dehnten sich ins Endlose. Dann, endlich, hielt das Boot wieder auf die
Ganges
zu. Johanna zählte fieberhaft. Eins, zwei, drei – sie jubelte auf: Vier Männer, es gab keinen Zweifel!
    »Welch ein Husarenstück!«, bemerkte der Mann neben Johanna. Sie nickte, aber ein wenig enttäuscht war sie doch, dass Friedrich von Trebow nicht zu den Rettern gehörte. Natürlich war es vernünftig gewesen, dass er vom Deck aus die Richtung gewiesen hatte, und doch hätte sie lieber statt des seltsamen Farnells den jungen von Trebow als Helden gefeiert.
    Wenig später halfen einige Matrosen ihrem geretteten Kameraden, Farnell und seinen Mitstreitern das Fallreep hinauf. Kaum waren sie an Deck, empfing sie der wutschnaubende Kapitän mit einer lautstarken Standpauke, die auch noch im letzten Winkel des Schiffs gehört wurde. Unverantwortlich hätten sie gehandelt! Die drei senkten schuldbewusst die Köpfe. Johanna, nur wenige Meter entfernt, wollte sich empören, doch dann sah sie die Mundwinkel des Kapitäns verdächtig zucken. Tatsächlich verrauchte seine Wut binnen Sekunden, herzlich klopfte er den jungen Männern auf die Schultern und folgte dann den Matrosen, die den Unglücksraben zur Krankenstation begleitet hatten.
    Johanna eilte auf Farnell zu. Barfüßig, nass und mit zerrissener Hose, die dunklen Haare und der Vollbart an den Kopf geklatscht, sah er so verwegen aus wie ein Pirat. Sie streckte ihm die Hand entgegen, um ihm zu gratulieren. Er ergriff sie, und plötzlich hörte er auf zu lachen. Jeden Blickkontakt mit ihr vermeidend murmelte er, schließlich sei es die Pflicht eines jeden Mannes, alles Menschenmögliche zu tun, um ein Leben zu retten, dann entschuldigte er sich knapp und ließ Johanna einfach stehen. Sie sah ihm kopfschüttelnd

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