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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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unterhielt sich angeregt mit einem der wenigen erträglichen Mitreisenden, einem älteren Kolonialbeamten, der wirklich interessante Geschichten über Kopfjäger, mordgierige Piraten und Schlangeneintopf zu erzählen wusste. Johanna turtelte mit ihrem Gecken und war für den Rest der Welt verloren. Leah erhob sich leise und stahl sich in Richtung des Ausgangs davon.
    Auf Deck rannte sie beinahe Henry Farnell über den Haufen.
    »Auch auf der Flucht?«, fragte er.
    »Allerdings.«
    »Vor dem Essen?«
    Leah winkte ab. »Ach, das ist unwichtig. Wenn es schmeckt, hat man Glück gehabt. Wenn nicht, erhält es einen zumindest am Leben.«
    Ein seltenes Lächeln zog über sein Gesicht. »Sie sind für die Kolonien wie geschaffen«, stellte er fest.
    »Das will ich hoffen. Wahrscheinlich besser als die meisten der Herren dort unten.«
    Jetzt lachte er wirklich. »Ihr Selbstbewusstsein gefällt mir. Lassen Sie sich nie die Flügel stutzen. Aber kommen Sie, wir suchen uns einen besseren Aussichtspunkt. Sobald wir diese kleine Insel zu unserer Linken umfahren haben, wird sich die Königin des Fernen Ostens in aller Pracht präsentieren.«
    »Sie kennen Singapur?«
    »Ja, natürlich. Ich war vor zwei Jahren als Supercargo in der Region. Da es für mich hier mehr Möglichkeiten gibt als in England, beschloss ich, so bald wie möglich zurückzukehren. Friedrich war ebenfalls daran interessiert, Asien kennenzulernen, und so buchten wir unsere Passagen auf diesem Schiff.«
    »Aber Herr von Trebow hat doch schon in Asien gelebt.«
    »Nein, da müssen Sie etwas verwechseln. Er ist zum ersten Mal hier.«
    »Aber er hat Johanna und dem Vater doch erzählt, er sei vor einigen Jahren in der Region unterwegs gewesen!«
    »Oh, ich vergaß. Sie haben natürlich recht.«
    Leah stutzte. Farnell würde wohl kaum vergessen haben, dass sein Freund einige Jahre fort war. Sie sah ihm scharf ins Gesicht. Einer der beiden Männer log, und sie würde ihr geliebtes Vergrößerungsglas darauf verwetten, dass es nicht Farnell war. Er ergriff erneut das Wort, bevor sie nachhaken konnte.
    »Kennen Sie die Geschichte der Löwenstadt?«
    Offensichtlich wollte er vom Thema ablenken. Leah fügte sich. Sicherlich gab es alte Geschichten, über die weder Farnell noch von Trebow bereit waren zu sprechen, und es ging sie auch nichts an.
    »Löwenstadt? Es gibt doch gar keine Löwen östlich von Indien«, sagte sie.
    Henry Farnell bedachte Leah mit einem anerkennenden Blick. »Sie sind wohlunterrichtet. Hier gibt es tatsächlich nur Tiger. Und doch nennen die Inder die Stadt Singa Pûra, die Löwenstadt. Wollen Sie wissen, warum?«
    »Natürlich.«
    Henry Farnell erwies sich als erstaunlich guter Erzähler; nie hätte Leah vermutet, der ernste, zurückhaltende Mann besäße eine poetische Ader, und doch gelang es ihm, sie zu fesseln. Mit Begeisterung lauschte sie der Legende von Prinz Nila Utama, dem Raja von Palembang auf Sumatra, der auf der Überfahrt nach Temasik, wie Singapur vor tausend Jahren geheißen hatte, in einen schrecklichen Sturm geriet.
    »Sein Schiff schlug leck«, fuhr Henry Farnell fort, »doch erst als der Prinz seine Krone über Bord warf, besänftigten sich die Sturmdämonen, und die kleine Flotte landete nahe einer Flussmündung unbeschadet an den goldenen Stränden der Insel. Noch am selben Tag begaben sich der Raja und sein Gefolge auf die Jagd. Während er durch den Dschungel streifte, zeigte sich dem jungen Herrscher ein seltsames Tier, flink und schön, mit einem roten Körper und jetschwarzem Kopf. Bevor er es erlegen konnte, war das große Tier bereits im dichten Wald verschwunden, und der Raja brach die Jagd ab. Er wertete seine Begegnung als gutes Omen und beschloss, an der Mündung des Flusses eine Stadt zu gründen. Überzeugt davon, einen Löwen gesehen zu haben, nannte er sie Singa Pûra, die Löwenstadt.«
    »Das ist eine interessante Geschichte«, sagte Leah, als Farnell geendet hatte. »Ich hörte aber, dass Stamfort Raffles, als er 1819 die Insel für die englische Krone beanspruchte, nur ein armseliges Fischerdorf vorfand.«
    »Das stimmt. Vor langer Zeit ersäuften missgünstige Nachbarn die Stadt in einem Meer von Blut.« Er streckte die Arme aus. »Aber sehen Sie doch: Sie ist zu alter Größe zurückgekehrt!«
     
    Während ihrer Unterhaltung hatte die
Ganges
das dschungelbewachsene Eiland umschifft und hielt auf die große Insel zu, auf der Singapur lag. Verblüfft musterte Leah die Küste. Dutzende und Aberdutzende

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