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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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der auch noch ihr Kind gerettet hatte?
    Wie es wohl wäre, an seiner Seite durchs Leben zu gehen? Johanna merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Beinahe vermeinte sie Leah neben sich stehen zu sehen, ihre Stimme zu hören wie damals auf der
Ganges,
als sie erklärte, Farnell sei dem Gecken Friedrich eindeutig vorzuziehen. Sollte ihre Schwester bessere Menschenkenntnis bewiesen haben als sie? Die Erkenntnis traf sie aus heiterem Himmel. Leah hatte gesehen, was sie nicht zu sehen imstande gewesen war, während all ihre Aufmerksamkeit auf Friedrich gerichtet war: Farnell liebte sie, hatte sie geliebt von dem Moment an, als sie einander vorgestellt wurden. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Aus Loyalität zu Friedrich war er zurückgetreten, hatte sich in Schweigen gehüllt, um Johanna nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen. Sie dachte an seine Abwesenheit während der Verlobungsfeier, als er kopflos in den Regen geflüchtet war, und an seine bedrückte Stimmung bei der Hochzeit. Er musste gelitten haben wie ein Hund, und sie hatte es nicht bemerkt, sich sogar insgeheim über sein unangemessenes Verhalten geärgert. Aufstöhnend verbarg sie das Gesicht in den Händen. Plötzlich konnte sie seine nahende Abreise kaum noch erwarten.
     
    Friedrich und Alwine erwarteten sie bereits mit dem Abendessen, hatten sich allerdings keine Sorgen gemacht. In Singapur gewöhnte man sich schnell daran, seine Pläne von Gewittern durchkreuzt zu sehen. Wer überrascht wurde, musste eben ausharren, bis sich der Himmel ausgetobt hatte, gleichgültig, ob in einem Laden auf dem Commercial Square, beim Picknick im botanischen Garten oder eben auf einer unbewohnten Insel. Friedrich war bestens gelaunt und bemerkte die Einsilbigkeit von Johanna und Henry nicht; fröhlich schwadronierte er über den Widerstand der Singapurer Händler gegen die von der Verwaltung in Kalkutta geforderte Einführung von Hafensteuern. Johanna lauschte seinen Ausführungen nur mit einem Ohr; mechanisch aß sie, was Ping ihr servierte, und versuchte vergeblich, Ordnung in ihrem Kopf zu schaffen. Es machte sie verrückt, Friedrich und Henry nebeneinandersitzen zu sehen, und noch bevor das Dessert aufgetragen wurde, entschuldigte sie sich mit Kopfschmerzen. Erst am Bett ihres schlafenden Sohnes konnte sie wieder klare Gedanken fassen. Ihr Platz war hier, an Hermanns Seite. Und an der seines Vaters.

15
    Juni 1861 , vier Monate später
    F eierlich entzündete Leah ein Bündel Räucherstäbchen, führte es zur Stirn und verbeugte sich vor der Statue der Ma Chu P’oh, der Beschützerin der Seefahrer, im qualmsatten Innenraum des Kong-Hock-Keang-Tempels. In ihrem Herzen sprach sie ein Gebet für Teng Ah Tee, Kapitän Goh und all die anderen, die den Piratenüberfall nicht überlebt hatten. Der chinesische Priester, in dessen Gemeinde sie jeden Sonntag dem christlichen Gottesdienst beiwohnte, hatte ihr wegen ihrer heidnischen Umtriebe bereits ins Gewissen geredet, doch sie ließ nicht von ihrem Ritual ab. Die Matrosen hatten an die bunten Götter geglaubt, und genau vor deren Altar wollte sie ihren toten Kameraden die Ehre erweisen und Dankbarkeit bezeugen. Neugierige Seitenblicke bekümmerten Leah nicht. Nachdem sie ein paar Mandarin-Orangen und eine Schnapsflasche auf dem Altar arrangiert hatte, bahnte sie sich einen Weg durch die von Menschen verstopfte Halle nach draußen. Obwohl ihre Augen vom beißenden Rauch tränten, bemerkte sie den hochgewachsenen rothaarigen Europäer unter dem heiligen Banyan-Baum sofort. Er sah in ihre Richtung, schien zu stutzen. Sofort drehte sie ihm den Rücken zu und bückte sich mit übertriebener Umständlichkeit nach ihren Flechtsandalen. Hatte er trotz ihrer smaragdgrünen chinesischen Tracht bemerkt, dass sie keine Chinesin war?
    Das Gesicht unter ihrem Strohhut gut verborgen, wagte sie einen verstohlenen Blick. Der Mann stand noch immer dort, doch sie hätte nicht sagen können, ob er spezielles Interesse an ihr hatte oder nur einer der immer häufiger auftauchenden Vergnügungsreisenden war, den die Exotik des Tempels mit seinen drachenverzierten Giebeln in Bann schlug. So war es wohl, trotzdem ließ Leah Vorsicht walten. Seit sie in Penang an Land gegangen war, mied sie jeglichen Kontakt mit Europäern. In Manila und Makassar war die Gefahr, über alte Bekannte zu stolpern, äußerst gering gewesen, doch Penang lag gerade mal vierhundert Seemeilen von Singapur entfernt, zudem bildete es zusammen mit Singapur und Malacca

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