Die Insel der Orchideen
Hände vor die Augen und stürzte über Bord. Berauscht von dem Sieg stürzte sich Leah auf den nächsten Piraten. Ein Messer schlitzte ihren linken Oberarm auf, sie merkte es kaum. Seite an Seite mit den Matrosen hielt sie der nächsten Angreiferwelle stand, aufgepeitscht von dem irrsinnigen Wüten spürte sie keinen Schmerz und keine Müdigkeit.
Kanonendonner bellte übers Wasser. Für einen Moment erstarb jedes Geschrei, selbst die Verletzten und Sterbenden horchten auf. Im nächsten Moment spritzten Gischtfontänen, Holzsplitter und menschliche Gliedmaßen flogen durch die Luft. Und dann sahen sie es: Eine holländische Kriegsfregatte näherte sich, drohend schoben sich die Mäuler der Kanonen aus den Luken. Wieder spuckten sie Rauch, wieder trafen zwei Kugeln die Kanus. Beiboote wurden zu Wasser gelassen. Der Anblick der gut bewaffneten Soldaten verunsicherte die Piraten. Hatten sie noch Minuten zuvor ihre Beute sicher geglaubt, wendete sich nun das Blatt. Mit neuem Mut stürzten sich die wenigen überlebenden Seeleute der
Li Rong
auf ihre Angreifer, die sich scharenweise ins Wasser fallen ließen und zu den noch intakten Kanus schwammen. Schon kreisten die ersten Haie, angelockt vom Blut der Verwundeten und Toten.
Leah starrte auf das grausige Schauspiel. Die Gefahr mochte gebannt sein, doch in plötzlicher Ernüchterung erkannte sie, welch hohen Preis der Sieg von ihr gefordert hatte: Ihre Unschuld war ein für allemal dahin. Sie hatte getötet.
* * *
»Das Essen war wie immer köstlich«, sagte Henry. »Sobald ich aus England zurück bin, müsst ihr Ping doppelt bewachen, weil ich sie sonst abwerbe.«
»Ich werde mit ihr sprechen«, antwortete Johanna. »Vielleicht kann ich sie überreden, Ihre zukünftige Köchin zu unterrichten.«
»Das hört sich gut an.« Er verabschiedete sich von Johanna mit einem Handkuss, drückte Friedrich fest die Hand und sprang die Verandastufen hinunter ins Dunkel der Tropennacht. Bevor er aus dem Gartentor trat, drehte er sich noch einmal um und lüpfte den Hut. »Ich hole euch morgen um neun Uhr ab wie verabredet.« Und fort war er.
Johanna stützte sich aufs Geländer und sah in den Garten. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, die Silhouetten der Palmen und Hausdächer hoben sich deutlich vom schwarzblauen Firmament ab. Friedrich trat hinter sie und legte warm und beschützend seine Hände auf ihre Schultern. Sie stieß sich vom Geländer ab und ließ sich rücklings gegen seine Brust sinken. Überrascht ließ er los, nur um sie einen Augenblick später umso fester zu umarmen. Lange standen sie so, lauschten schweigend den Zikaden. Wie früher. Seit etwa zwei Wochen gab sich Friedrich die allergrößte Mühe, die letzten furchtbaren Monate vergessen zu machen, doch es fiel Johanna schwer, sich auf seine Friedensangebote einzulassen. Zu deutlich standen ihr seine Zornesausbrüche vor Augen, zu sehr hatte er sie am Tag der Neujahrsregatta enttäuscht.
Als könne er ihre Gedanken lesen, presste er sie noch ein wenig stärker an sich und hauchte ihr einen Kuss in den Nacken. »Ich habe dich und Hermann vernachlässigt, Liebste«, flüsterte er ihr ins Ohr, »und ich war nicht immer gerecht. Aber jetzt wird alles besser.«
»Das hoffe ich sehr«, sagte Johanna. »Willst du mir nicht erzählen, was der Grund für dein schroffes Verhalten war? Habe ich einen Fehler gemacht?« Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Johanna sie schon bereute. Friedrich versteifte sich. Sie erwartete eine scharfe Antwort, doch er atmete nur mehrmals tief ein und aus und entspannte sich wieder. Sanft umfasste er ihre Oberarme und drehte sie zu sich herum. Die Faust, die sich seit Monaten um ihr Herz krallte, lockerte sich ein wenig, als sie ihrem Mann in die Augen sah. So offen, so warm blickte er sie an. »Mein Täubchen, hast du wirklich gedacht, du wärest der Grund für die brummigen Launen deines Ehemannes? Um Himmels willen, nein!«
»Was war es dann?«
»Ich hatte ein Problem mit einer Ladung.«
»Und darüber wolltest du nicht mit mir sprechen? Warum denn nicht?«
Er lachte ein wenig gekünstelt. »So schlimm war’s ja nicht.« Als sie nur nickte, schob er sie von sich. »Herrgott, Johanna! Das Problem hat sich in Luft aufgelöst, alles läuft bestens. Ich erwarte von dir Vertrauen in meine Fähigkeit, meiner Familie ein standesgemäßes Leben zu bieten.«
Johanna senkte den Kopf. »Natürlich vertraue ich dir«, sagte sie und wusste im selben Moment, dass es
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