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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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die Verwaltungseinheit der Straits Settlements. Der regelmäßige Schiffsverkehr machte es Geschäftsreisenden und Verwaltungsbeamten leicht, zwischen den Städten zu pendeln.
    Der Duft von würzigen Nudeln stieg Leah in die Nase. Ihr Magen knurrte, und sie beschloss, etwas Geld für eine Portion Char Koay Teow zu opfern. Kurz darauf saß sie neben der Garküche auf einem niedrigen Hocker, eine dampfende Schüssel mit dicken Nudeln vor sich, während sie über ihre Situation nachdachte. Fünf Monate waren seit dem Piratenüberfall vergangen, schlimme Monate, in denen die verbliebene Mannschaft die beschädigte
Li Rong
nur mit Mühe nach Bali gebracht hatte. Dort angekommen, hatte sich die Mannschaft in zwei Lager gespalten; die einen plädierten dafür, Kapitän Gohs Familie, die rechtmäßigen Eigentümer der
Li Rong,
von dem Unglück zu unterrichten, die anderen, weit in der Überzahl, wollten das Schiff übernehmen und die Ladung auf eigene Kosten verkaufen. Bevor die Gemeinschaft endgültig auseinanderbrach, nutzte Leah die erstbeste Gelegenheit, Bali in Richtung Java zu verlassen. Sie war entsetzlich müde. Ihre Odyssee durchs Archipel hatte sich zu einem endlosen Alptraum entwickelt, und sie sehnte sich nach Ruhe. Ein paar Wochen blieb sie in Batavia, dann lief ein Schiff mit dem Ziel Singapur und Penang in den Hafen der niederländischen Niederlassung ein. Leah gab ihrer Erschöpfung nach und kaufte sich ein Billett. Während der einwöchigen Überfahrt wuchs ihre Sehnsucht nach Onkel Koh ins Unermessliche, selbst der Gedanke an die Mutter und Johanna hatte an Bitterkeit eingebüßt. Als sich jedoch die Silhouette Singapurs über den Horizont erhob, ergriff der Zorn über den Verrat sie heftiger denn je. Niemals würde sie zurückkehren, niemals! Sie blieb an Bord und verließ das Schiff erst in Penang.
    Seit zwei Monaten weilte sie inzwischen hier. Die Stadt war der perfekte Ort, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Wie in Singapur stellten auch in Penang die Chinesen einen großen Teil der Bevölkerung, und es fiel Leah nicht schwer, günstige Logis und von wohlhabenden Chinesen Aufträge für Portraitzeichnungen zu bekommen. Sie kam über die Runden, und für den Notfall besaß sie noch einen guten Teil des Geldes von Mijnheer van Vollenhofen.
     
    Da war er wieder, auf der anderen Straßenseite. Seine Größe und sein roter Schopf machten es ihm unmöglich, in der Menge schwarzbezopfter Chinesen unterzutauchen – wenn er es überhaupt darauf angelegt hatte. Gerade bot ein Händler ihm eine Durian an. Leah beobachtete gespannt seine Reaktion. Sie war sich sicher, er würde sich ob des käsigen Geruchs angewidert abwenden, aber zu ihrem Erstaunen ließ er sich die stachelige Schale aufhacken und kostete von dem weißen Fruchtfleisch. Seine ganze Haltung vermittelte eine entspannte Selbstsicherheit, die nur jemand an den Tag legte, der den Orient kannte und liebte.
    Leah nutzte die Tatsache, dass der große Europäer abgelenkt war, drückte der Suppenköchin eine kleine Münze in die Hand und schlüpfte davon. Während sie auf ihrem Heimweg einige Haken durch rückwärtige Gassen und Höfe schlug, wurde sie immer wütender auf den Rothaarigen. Niemand hatte das Recht, sie zu verfolgen, sie wollte in Ruhe gelassen werden.
    Eine Stunde später verließ sie mit ihren Malutensilien unterm Arm ihr Zimmer. Sie hatte vor einigen Tagen begonnen, eines der reichverzierten Klanhäuser zu zeichnen, und wollte das Bild gern zum Abschluss bringen. Das Haus befand sich auf einem verhältnismäßig ruhigen, nur über enge Torgänge zu erreichenden Platz. Sie bat eine der Anwohnerinnen um einen Hocker, suchte sich einen schattigen Platz und vertiefte sich in ihre Arbeit. Schon bald bildeten einige Kinder und Erwachsene einen Kreis um sie und bestaunten ehrfürchtig ihre Kunst. Leah ließ sich nicht stören. Erfahrungsgemäß erlahmte die Aufmerksamkeit der Schaulustigen bald wieder, und die Menge verlief sich.
    So auch am heutigen Tag, allerdings mit einer Ausnahme. Ein besonders Neugieriger hatte direkt hinter ihr Aufstellung genommen und spähte ihr über die Schulter. Er verhielt sich so ruhig, dass Leah ihn schon vergessen hatte, als sie die Zeichnung nach einer Stunde oder mehr mit einem schwungvollen Strich beendete. Zufrieden mit ihrem Werk verstaute sie Feder, Tusche und Stifte in ihrer Tasche und rollte das Papier zusammen.
    »Warten Sie!«
    Leah fuhr herum. Der Rothaarige! Sie war so verblüfft, dass sie

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