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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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ihr Leben nun schon so lange überschatteten und ihre Träume verdunkelten.
    »Darf ich Ihr Lachen als Zustimmung werten?«, fragte er.
    Leah nickte. »Kommen Sie. Ich kenne ein hervorragendes Dim-Sum-Restaurant. Wenn Sie sich trauen, können Sie auch gesottene Qualle probieren.«
    »Na dann.« Er verbeugte sich. »Gestatten: Bertrand Burdett. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Verraten Sie mir Ihren Namen?«
    »Nein.«
    Sobald sie saßen, feuerte Burdett eine Frage nach der anderen auf sie ab. Leah beantwortete nur jede zehnte, was ihm nichts auszumachen schien. Seine gute Laune blieb ungebrochen, desgleichen seine Neugierde. Leah atmete auf, als endlich das Essen kam; der Gebrauch der ungewohnten Essstäbchen würde Burdetts ganze Aufmerksamkeit erfordern und ihr eine Verschnaufpause geben. Wenn er zwischen seinen Fragen von sich erzählte, offenbarte er sich ihr als ein aufgeschlossener, gebildeter und überaus amüsanter Mann. Sie vermutete, dass er, obwohl er jegliche aristokratische Steifheit missen ließ, aus den besseren Kreisen Englands stammte.
    Burdett blieb hartnäckig, und in den folgenden Wochen ließ sich Leah mehrmals von ihm zum Essen einladen. Ohne Murren begleitete er sie in moslemische Garküchen, indische Curry-Restaurants und chinesische Teebuden, probierte alles, mochte das meiste und hatte erfreulich wenig Vorbehalte gegenüber den Asiaten und ihren Eigenarten. Für seine englischen Landsleute in Penang hatte er nur spöttische Bemerkungen übrig und akzeptierte Leahs Weigerung, ihn zu gesellschaftlichen Anlässen in der europäischen Gemeinde zu begleiten, kommentarlos. Er hatte es aufgegeben, sie auszufragen, und gab sich mit den ihm zugeteilten Mosaiksteinchen an Information zufrieden. Mittlerweile wusste er von Leahs Reisen im Archipel, von ihrem Interesse an den Zusammenhängen in der Natur und ihrer vergeblichen Suche nach Alfred Russel Wallace, von dem auch er schon gehört hatte. Über Singapur verlor sie kein Wort und gedachte auch nicht, es in Zukunft zu tun. Sie erfuhr auch einiges über Burdett. So wie sie ihn verstanden hatte, wollte er nicht in Fernost sesshaft werden und besaß auch keine Ambitionen, ein Handelshaus oder eine Plantage aufzubauen. Geld schien keine Rolle zu spielen; er leistete sich die lange Reise aus purer Neugierde.
    Es kam so weit, dass Leah eines Morgens mit einem Lachen erwachte, was seit einer halben Ewigkeit nicht mehr passiert war. Vor sich hin summend fegte sie ihr Zimmer aus und sortierte ihre Habseligkeiten neu. Müßig blätterte sie durch einen Stapel Zeichnungen, bis ihr Blick an einem Portrait von Boon Lee hängenblieb, das sie vor einigen Monaten aus dem Gedächtnis angefertigt hatte.
    Schlagartig verdüsterte sich ihr Gemüt. An jenem Tag, als ihr Geliebter von ihrer Seite gerissen worden war, hatte sie einen Schutzwall um sich errichtet, der mit jedem Schicksalsschlag höher und fester wurde. Lediglich Onkel Koh sowie Teng Ah Tee von der
Li Rong
hatte sie seither erlaubt, ihn zu übersteigen. Nun war es auch dem rothaarigen Engländer gelungen, eine Bresche in den Wall zu schlagen, durch die Licht, Lachen und Lebenslust hereinfluteten. Leah ballte die Fäuste. Hatte sie sich nicht geschworen, Abstand zu den Menschen zu halten? Nähe bedeutete Verletzbarkeit. Burdett würde ohnehin bald abreisen und sich für immer aus ihrem Leben verabschieden, da konnte sie ihm die Freundschaft auch gleich aufkündigen.
    Sie hatte gerade ihr Schreibzeug hervorgekramt und in Gedanken einen Brief formuliert, in dem sie Burdett in nachdrücklichen Worten mitteilte, er möge sie in Ruhe lassen, als es an der Zimmertür klopfte und ihre Vermieterin eintrat. Mit vielsagendem Augenrollen drückte sie Leah ein hübsch in Seidenpapier eingeschlagenes Päckchen in die Hand. Die beiliegende Karte wies Burdett als Absender aus.
     
    Verehrte Miss Namenlos,
stand dort,
gestatten Sie mir, Ihnen ein Geschenk zu überreichen. Doch seien Sie gewarnt, das Öffnen desselben ist an eine Bedingung geknüpft. In dem Päckchen finden Sie eine weitere Karte, in der ich Ihnen einen interessanten und ganz und gar unmöglichen Vorschlag unterbreite. Bitte äußern Sie sich zu ebendiesem Vorschlag erst nach reiflicher Überlegung; ich übe mich solange in Geduld. Dabei vertraue ich ganz auf Ihre Neugierde, die es Ihnen nicht erlauben wird, mir das Geschenk ungeöffnet zurückzusenden, und verbleibe mit bewundernden Grüßen, Ihr Bertrand

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