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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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auf. »Was meinen Sie, wollen wir nach den Überresten der Kannibalenfeier suchen?«
    »Nichts lieber als das.« Galant bot er ihr den Arm, und sie schlenderten, fröhlich plaudernd, den Strand hinunter. Bald bogen sie um eine Landzunge und verloren das Boot aus den Augen. In der letzten Stunde war es merklich drückender geworden; ein Gewitter kündigte sich an. Johanna löste ihre Hand von Henrys Arm und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Nach kurzem Zögern ließ sie alle Bedenken hinsichtlich des Anstands außer Acht, hob den Saum ihres Kleides und lief ins Meer. Sie hatte ein altes, leicht verschlissenes Kleid für den Ausflug gewählt, da machte es nichts, wenn sie es mit Salzwasser verdarb. Übermütig planschte sie durchs knöcheltiefe Wasser und sah sehnsüchtig hinaus. Wie wunderbar musste es sein, elegant zwischen den Fischen zu tauchen, so wie es der junge Malaie vorgemacht hatte.
    »Was ist los? Sie wirken plötzlich so melancholisch.«
    Johanna drehte sich um. Henry kam mit aufgekrempelten Hosenbeinen auf sie zu.
    »Bringen Sie mir das Schwimmen bei?«, rief sie.
    »Ich soll
was?
«
    Johanna konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Er gab ein zu köstliches Bild ab, wie er da mit aufgerollten Hosenbeinen verblüfft und um Worte verlegen vor ihr stand. Sie fing seinen Blick auf, und das Lachen verging ihr. Zum ersten Mal, seit sie Henry kannte, bemerkte sie, dass er ungemein schöne Augen hatte, die Iris ein warmes Braun, überschattet von dichten, für einen Mann ungewöhnlich langen Wimpern. Sie verlor sich in diesen Augen, die ihr plötzlich so beredt erschienen, von Leidenschaft und Geborgenheit zugleich erzählten. Unwillkürlich machte sie einen Schritt auf ihn zu und noch einen.
    Ein gewaltiger Knall zerstörte den zerbrechlichen Zauber des Augenblicks; es donnerte in der Ferne. Johanna wich erschrocken zurück, während Henry noch immer seinen Blick auf sie geheftet hielt, bedauernd, wie ihr schien. Ein Schauer durchlief ihren Körper, nicht unähnlich jenen Schauern, die ihr Friedrichs Küsse und Berührungen in der letzten Nacht beschert hatten, ein Sehnen, das eigentlich ihrem Mann vorbehalten sein musste. Johanna drehte sich um und hastete aufs Trockene. Wie konnte sie sich nur so gehenlassen?
    »Johanna?«
    Sie fuhr herum. Henry hatte sie mit wenigen Schritten eingeholt und ergriff ihren Arm. »Es tut mir leid«, stammelte er.
    »Ich wüsste nicht, was Ihnen leidtun sollte.« Johanna betete, dass Henry das Zittern in ihrer Stimme nicht hörte. Nichts war geschehen. Gar nichts. »Ein Gewitter zieht auf. Wir müssen rechtzeitig Schutz finden.«
    »Ja, das sollten wir wohl.« Endlich löste sich sein Blick von ihr, wanderte unstet zum Waldsaum, zum sich verdunkelnden Himmel, den Strand entlang. »Dort hinten winkt schon ein Matrose nach uns.«
     
    Das Gewitter tobte fast den gesamten Nachmittag. Johanna, Henry und die Mannschaft fanden Unterschlupf am Waldrand, wo vorherige Ausflügler oder Fischer bereits einige von Grasmattendächern geschützte Bambusplattformen errichtet hatten. Der Regen prasselte so laut, dass sie sich nur schreiend unterhalten konnten. Johanna fühlte sich befangen, sobald Henry das Wort an sie richtete, antwortete einsilbig, und am Ende erstarb jedes Gespräch. Als es am späten Nachmittag aufklarte, setzten sie die Segel. Henry flüchtete sich umgehend in seine vermeintlichen Matrosenpflichten und ersparte ihnen jeden weiteren Wortwechsel. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit hielt die Yacht auf die Mündung des Singapur-Flusses zu. Johanna stellte sich so weit nach vorn wie möglich, während der Kapitän sie geschickt durch die Menge der Leichter und Sampans steuerte. So wunderbar der Ausflug am Morgen begonnen hatte, so froh war sie nun, wieder in Singapur zu sein. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie das hübsch gemalte Firmenschild über Friedrichs Godown erblickte. Hoffentlich sah Friedrich ihr das schlechte Gewissen nicht an.
    Sie warf einen Blick über die Schulter. Henry stand neben dem Kapitän und blickte in ihre Richtung. Schnell drehte er ihr den Rücken zu, täuschte Geschäftigkeit vor, wo es nichts zu tun gab. Nachdenklich maß Johanna sein breites Kreuz, erkannte die kraftvolle Geschmeidigkeit seiner Bewegungen. Wann hatte sich ihre Sicht auf ihn geändert? Wann war aus Farnell, dem unnahbaren Freund Friedrichs, dem ernsten Trauzeugen der heitere Henry geworden, ein Mann, in dessen Gegenwart sie sich wohler fühlte als in der ihres Ehemannes und

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