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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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schüttelte den Kopf. Zu schnell und zu heftig, um Johannas Ahnung zu entkräften. »Es sind nur Kopfschmerzen«, sagte sie leichthin. »Vielleicht bekomme ich eine Erkältung.«
    »Schon möglich.« Noch immer ruhte Johannas Blick fragend auf ihr. »Du weißt, dass du alles mit mir besprechen kannst, Liebes«, sagte sie mit Nachdruck.
    Lily war froh, als Johanna das Haus verließ, um ihre Schicht im Hospital zu übernehmen. Sie stürmte nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Kaum eine halbe Stunde später ließ sie sich in der Bibliothek in Raffles Institution die Tageszeitungen der letzten zwei Wochen aushändigen. Sie brauchte nicht lange zu suchen: Schon in der dritten Zeitung fand sie den von Johanna erwähnten Artikel, in dem in sachlichen Worten über Bertrand Burdett, Earl of Arliss, und Mylady Leah sowie deren Sohn, Thomas Burdett, Baron of Talbury, berichtet wurde. Die Familie sei gesund von einer waghalsigen Expedition ins Batak-Land, wie allgemein bekannt die Heimat von Menschenfressern, zurückgekehrt und widme sich nun in dem zu Niederländisch-Ostindien gehörenden Hafenstädtchen Anjer der Sichtung ihrer Sammlungen und Notizen.
    Lily starrte auf die Zeitung, bis die Buchstaben verschwammen. Ihre Hände krampften sich um das Papier. Sie hatte einen Halbbruder namens Thomas?
    »Miss! Bitte gehen Sie pfleglich mit der Zeitung um.«
    Lily sah auf. Ein Bibliothekar hatte sich vor ihr aufgebaut und wies mit missbilligender Miene auf die Zeitung in ihrem Schoß. Schuldbewusst strich sie das zusammengeknüllte Papier glatt und drückte es ihm in die Hand. Mit einem gemurmelten Dank schob sie ihn beiseite, ging hinaus auf die Straße, winkte eine freie Jinrickshaw heran und ließ sich zur P&O-Agentur fahren. Mit klopfendem Herzen, ihre prallgefüllte Börse umklammernd, betrat sie die Schifffahrtsagentur. Nach kurzer Wartezeit nahm sie dem Angestellten gegenüber Platz und fragte ihn nach einem Schiff nach Batavia.
    Das nächste Postschiff ginge erst in fünf Tagen, teilte der Mann ihr mit. Ob sie es denn sehr eilig habe? Als Lily nickte, legte er ihr nahe, einen Passagierplatz auf einem Handelsschiff in Erwägung zu ziehen.
    Er wühlte in einer Schublade und förderte ein Papier zutage. Mit gerunzelter Stirn überflog er es.
    »Sie haben Glück«, sagte er. »Nach den Angaben der Hafenbehörde läuft die
Queen of the Far East
übermorgen nach Batavia aus«, sagte er. »Das Kontor der Company liegt gleich um die Ecke. Ich schlage Ihnen vor, selbst dort vorzusprechen.«
     
    Lily musste bald zwanzig Mal am Eingang des prächtigen Stammhauses von Ross Bowie am Collyer Quay vorbeigegangen sein und konnte sich nicht entschließen, es zu betreten. Es würde Bowie nicht verborgen bleiben, wenn sie auf einem seiner Schiffe fuhr. Zwar hatten Johanna und er ein gespanntes Verhältnis zueinander, dennoch würde Bowie vielleicht Johanna aufsuchen, um sicherzustellen, dass alles mit rechten Dingen zuging. Sie konnte es nur verhindern, wenn sie ihm eine glaubwürdige Geschichte präsentierte. Leider fiel ihr nichts ein. Niedergeschlagen stützte sie sich auf die Kaimauer und blickte aufs Meer. Sonnenlicht funkelte auf der türkisfarbenen Wasseroberfläche, direkt unter ihr schwamm eine Schule bunter Fische vorbei. Gedankenverloren beobachtete sie die Tiere, bis sie sich in den milchigen Tiefen verloren. Vielleicht war es besser, den Plan zu verwerfen. Vernünftiger war es auf jeden Fall. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hier stehen zu bleiben, in der gleißenden Mittagssonne, war jedenfalls keine Lösung. Sie sollte nach Hause fahren und sich alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
    Ein Räuspern in nächster Nähe schreckte sie auf. Ein junger Europäer trat neben sie und sprach sie an.
    »Miss Lily von Trebow?«, fragte er.
    »Ja?«
    »Mr Bowie bittet Sie in sein Kontor.«
    »Wie bitte? Ross Bowie?«
    Statt einer Antwort wies er hinter sich zur Veranda im ersten Stock des Hauses, wo Bowie auf der Verandabrüstung lehnte und ihr über die belebte Straße hinweg zugrinste. »Möchten Sie ein Glas Saft?«, rief er. »Sie müssen völlig ausgetrocknet sein.«
    Der Saft stand schon bereit, als Lily in Bowies luftiges Büro trat. Er verbeugte sich vor ihr, eine Ehre, die ihr selten zuteilwurde. Im Allgemeinen übersah man sie, um schwierige Etikette-Fragen zu vermeiden. Unsicher setzte sie sich auf den angebotenen Rattansessel und nahm das Saftglas entgegen. Bowie ließ sich ihr gegenüber nieder

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