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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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eine gute Idee ist. Es könnte gefährlich sein.«
    »Papa! Es ist helllichter Tag. Wer sollte uns etwas tun?«
    »Und dein Kleid? Es hat den ganzen Vormittag geregnet, die Straßen sind schlammig.«
    »Ach, den Dreck waschen die Dhobi-Wallahs schon raus.«
    »Wer?«
    »Die indischen Wäscher auf dem Waschplatz hinterm Gouverneurshügel.«
    »Bist du etwa dort gewesen?«
    Leah zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. Ihr Vater war ernsthaft verärgert. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie deshalb mit gespielter Empörung. »Ich weiß es von Lim. Die Wäscher holen doch unsere Sachen jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang ab.«
    »Das beruhigt mich. Männer können sich benehmen wie wilde Tiere.«
    Bitte, dachte Leah, bitte lass mich dir nicht versprechen, in Zukunft im Haus zu bleiben. Ich müsste dich anlügen.
    »Nun gut«, sagte er. »Wir verzichten auf die Kutsche.«
    Erleichtert trat sie an der Seite ihres Vaters in eine mit jedem Schritt nach Süden aufregendere und exotischere Welt ein. Die langen Häuserreihen entlang der Southbridge Road verfügten über fünf Fuß breite Arkaden, die den Fußgängern Schatten gewähren sollten, doch hatten die Ladeninhaber und fliegenden Händler ihre Waren längst auch hier ausgebreitet. Nur unwillig machten die unter den Arkaden kauernden Menschen den europäischen Eindringlingen Platz. Obwohl ihre Anwesenheit mit Tuscheln quittiert wurde, sah Leah, ausgestattet mit derselben taktlosen Neugierde wie die Chinesen, den Menschen offen ins Gesicht.
    Vor einem der Geschäfte blieb sie fasziniert stehen. In mehreren Glasgefäßen auf einem Tisch neben der Eingangstür schwammen in gelblichen Flüssigkeiten Schlangen und Skorpione. Aus dem Laden drang ein modriger Geruch nach Kräutern und Trockenfisch. Leah klopfte gegen eines der großen Gefäße. Die toten Schlangen drehten sich träge in der Flüssigkeit.
    »Kraits«, stellte sie sachlich fest. »Sehr giftig. Ich frage mich, warum sie in Alkohol eingelegt sind. Komm.« Ohne eine Antwort des Vaters abzuwarten, betrat sie den Laden. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen ans Dämmerlicht gewöhnten. Hermann-Otto Uhldorff konnte sich einen Ausruf des Erstaunens nicht verkneifen. Auf Regalbrettern stapelten sich mumifizierte Tigerpranken und andere Tierteile, getrocknete Geckos, Frösche, Schlangen und Insekten lagen zu Hunderten in Körben davor. Hinter der Ladentheke stand ein Schrank mit Dutzenden und Aberdutzenden Schubladen, jede von ihnen säuberlich mit chinesischen Zeichen beschriftet.
    Ein Räuspern ließ Vater und Tochter herumfahren. Aus dem Durchgang zum Wohnbereich des Hauses trat ein auffallend kleiner Chinese und musterte sie durch seine Messingbrille mit unverhohlenem Interesse. Leah hatte noch nie einen älteren Chinesen als ihn gesehen. Falten überzogen sein Gesicht, die Augen verschwanden beinahe unter den Lidern, der dünne Zopf reichte bis in die Kniekehlen. Da er keine Anstalten machte, sie zu begrüßen, ergriff Leah die Initiative.
    »Leh ho boh!«
    Der Mann starrte sie mit offenem Mund an, und auch ihr Vater stand da wie vom Donner gerührt. Lims Unterricht in der Küche hatte in kurzer Zeit Früchte getragen, auch wenn Leah noch viele Monate benötigen würde, um die schwierige Aussprache zu meistern. Tatsächlich verstand sie vom einsetzenden Wortschwall des Mannes nur einen Bruchteil. Sie unterbrach ihn und fragte ihn nach den getrockneten Tieren. Welcher Art sie waren, welchen Nutzen sie hatten. Der alte Chinese war sichtlich begeistert von ihrem Interesse und bemühte sich, langsam und in einfachen Worten zu sprechen. Hin und wieder warf er ein englisches Wort ein; seine Kenntnisse des Englischen entsprachen in etwa Leahs Hokkien-Chinesisch. Schließlich verpackte er einige Spezimen und überreichte Leah das Paket. Ihr Vater war so verblüfft, dass er den Einkauf kommentarlos bezahlte.
    »Toh siah. Tsai hwei. Danke und auf Wiedersehen.« Leah senkte den Kopf respektvoll vor dem alten Mann und verließ mit ihrem Vater das Geschäft.
    »Leah, du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen. Du sprichst Chinesisch?«
    »Hokkien-Chinesisch. Sehr wenig, aber es wird besser. Ich hatte in Mr Goymours Pension damit begonnen, es zu lernen. Dafür lässt mein Malaiisch zu wünschen übrig. Und Kantonesisch kann ich gar nicht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wärest du ein Mann, du würdest dir wahrlich die Welt untertan machen. Was ist das für ein Laden?«
    »Eine Apotheke.«
    »Und die Tiere,

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