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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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der erste Besuch der Freundinnen bei
John Little & Company.
Noch jedes Mal hatte Mercy mit ihrer Unentschlossenheit, ihren Ansprüchen und ihrer lauten Stimme sämtliche Angestellte auf Trab gehalten.
    Mercy rieb den kostbaren Seidenstoff zwischen ihren Fingern. »Perfekt!«, befand sie. »Diese Farbe passt ganz formidabel zu deinen grauen Augen.«
    »Ich weiß nicht recht. Das Kleid ist zu prächtig für mich. Und mit Sicherheit auch zu teuer.«
    »Du hast in den vier Monaten, seit dein Vater abgereist ist, kaum das Haus verlassen, nun musst du dir auch einmal etwas gönnen. Außerdem lasse ich nicht zu, dass du zum Silvesterball als graue Maus erscheinst.«
    Johanna musterte das Ballkleid. Mercy besaß unbestritten ein Gespür für Mode. Mit seinem weitschwingenden Rock, dem tiefen, von feiner Spitze eingefassten Halsausschnitt, der auch die Schultern freiließ, und den hübsch drapierten Ärmelchen gefiel ihr das Kleid außerordentlich, und mit Sicherheit stand es ihr auch gut. Es würde schön sein, in diesem grünschillernden Traum über die Tanzfläche zu gleiten.
    Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus: Sie wollte tanzen, aber nur mit einem. Der aber weilte noch immer im weitentfernten Hongkong. Sie wischte den dunklen Gedanken beiseite, bevor die Schwermut sie packen konnte, und zeigte auf ein schlichteres Kleid aus hellblauem Baumwollmusseline.
    »Ich werde dieses nehmen. Es ist ebenfalls wunderhübsch und genügt meinen Ansprüchen. Ich muss haushalten.«
    »Ja«, sagte Mercy gedehnt, »es ist nett. Aber willst du nicht doch lieber das andere kaufen?«
    »Nein. Eigentlich wäre sogar mein altes Ballkleid ausreichend.«
    »Aber kein bisschen modisch.«
    »Liebe Freundin, wir sind nicht in Paris, sondern im Dschungel. Junger Mann« – Johanna wandte sich an den Assistenten –, »bitte senden Sie mir das hellblaue Kleid zur Anprobe an meine Adresse.«
    »Das grüne auch!«
    Lachend knuffte Johanna ihre Freundin in die Seite. Mercy grinste.
    Da draußen ein heftiges Tropengewitter tobte, verbrachten sie eine weitere vergnügliche Stunde in John Littles geräumigem Laden, in dem von weißer Seife, Zahnpulver und Nähnadeln über feines Besteck bis hin zu Schinkenspeck aus Wiltshire und Madeirawein so ziemlich alles aus Europa angeboten wurde. Daneben lagerten aus Elfenbein geschnitzte Schach- und Backgammon-Spiele, Porzellan und perlmuttgeschmückte Teewagen aus China, Seidenlaternen aus Cochinchina, Schmuckkästchen aus Indien und Manila-Hüte. Zur kulturellen Erbauung wurden die neuesten Noten, Novellen und Magazine vom anderen Ende der Welt herbeigeschafft, und wer dann noch nicht fündig geworden war, wandte sich vertrauensvoll an Mr Little, der alles möglich machte.
    Johanna erkundigte sich bei ihm nach ihrer Bestellung. Mr Little klemmte sich einen Kneifer auf die Nase, überflog eine Liste und schickte einen Assistenten ins Lager, der prompt mit einem kleinen Paket zurückkehrte.
    »Was ist das?« Mercy platzte fast vor Neugierde.
    »Farben.«
    »Farben?«
    Johanna legte Stück für Stück kaum einen Zoll lange Näpfchen auf die Ladentheke, gefolgt von Pinseln und einer gut verschnürten Rolle. »Winsor-&-Newton-Aquarellfarben«, erklärte sie, »dazu Marderhaarpinsel aus Russland und gutes Büttenpapier. Leahs Weihnachtsgeschenke. Sie zeichnet wie eine Besessene, seit Papa in China ist. Ich sehe sie kaum noch, so oft ist sie außer Haus und hält die Diener unserer Nachbarn vom Arbeiten ab.«
    Mercy rümpfte die Nase. »Ja, unsere Dienerschaft hat ihr auch schon Modell gesessen. Andrew hat sie gebeten, ein Bild von mir anzufertigen, aber dafür hat sie bis heute keine Zeit gefunden. Selbst die ekligen Käfer sind ihr wichtiger. Es wird Zeit, dass dein Vater einen anständigen Mann für sie findet.«
    »Sie ist gerade siebzehn geworden.«
    »Na und? Du wirst sehen, sobald das erste Kindchen da ist, legen sich ihre Grillen von selbst.« Unwillkürlich strich Mercy über ihren ausladenden Bauch, der auf mehr schließen ließ als nur den fünften Schwangerschaftsmonat. Sie war nie schlank gewesen, doch seit zwei oder drei Monaten schlang sie alles in sich hinein, dessen sie habhaft wurde.
    Johanna sparte sich eine Antwort. Sie konnte sich Leah beim besten Willen nicht als Ehefrau und Mutter vorstellen. Wie musste der Mann beschaffen sein, der Leah gefallen könnte – und der Gefallen an ihr fand? Sie zahlte die Zeichenmaterialien, was Mercy angesichts der Summe ein ungläubiges

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