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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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die du dir hast einpacken lassen? Willst du uns in Zukunft mit geschabten Echsen und Insektenpüree behandeln?«
    Sie lachte. »Keine Angst, ich möchte sie mir nur genauer ansehen und mit meinen bisherigen Funden vergleichen. Viele der Tiere in seiner Auslage kannte ich nicht.«
    Sie traten auf die Straße. Die Arkaden waren jetzt vollends von Waren blockiert. Ein Wasserträger wich ihnen schimpfend aus. Seine Last schwankte so stark, dass die Eimer an beiden Enden des langen, flachen Bambusjochs auf seiner Schulter überzuschwappen drohten. Neben einer Säule saß ein Barbier und reinigte einem Kunden die Ohren. Ein in bestickte Seide gewandeter chinesischer Geschäftsmann überquerte schnellen Schritts die Straße. Sie kamen an einer Gruppe von lärmenden Essern vorbei, die sich um einen Mann mit einem Suppentopf scharte; auf den Hacken balancierend hielten sie sich dampfende Schalen vor die Gesichter und schaufelten sich mit Hilfe zweier Essstäbchen Nudeln in die Münder. Leah lief das Wasser im Mund zusammen, doch sie blieb stumm; diese Bitte würde selbst der Vater ihr nicht erfüllen.
    Sie täuschte sich. Die beiden waren bereits tief ins chinesische Viertel vorgedrungen, als ihr Vater auf ein äußerst bescheidenes Restaurant wies. Es hatte keine Türen, und das Mobiliar bestand nur aus niedrigen Hockern.
    »Möchtest du?«
    Leahs Herz machte einen Sprung. Natürlich wollte sie das fremde Essen probieren!
    »Dann komm. Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie sehr es dich an die Suppenkessel der Chinesen zieht?«
    Der Koch wäre bei ihrem Anblick am liebsten im Boden versunken. Mit einer Mischung aus Ablehnung und Faszination stand er wie angenagelt hinter seinen großen Töpfen und fragte sich offensichtlich, ob er unter Wahnvorstellungen litt. Es kostete Leah einige Überzeugungskraft, bis er sie bediente.
    Sie hatten ihre liebe Mühe mit den Essstäbchen, immer wieder plumpsten die Nudeln in die Brühe zurück. Schließlich erbarmte sich der Suppenkoch und zeigte ihnen die korrekte Handhabung. Leahs Sprachkenntnisse und ihre offene Art ließen den Mann sein Misstrauen vergessen, und bald hatte er ebenso viel Spaß wie seine Gäste.
    »Wahrscheinlich sind wir bereits das Stadtgespräch«, bemerkte Leahs Vater. Vor dem Restaurant hatte sich eine Traube barfüßiger junger Männer gebildet, die sie ungeniert angafften. Ohne Ausnahme waren sie in weite blaue Hosen gekleidet, hatten die Stirn rasiert und lange Zöpfe. Manche trugen speckige, ehemals weiße Hemden, viele jedoch nicht einmal diese. Allen gemein war eine entsetzliche Magerkeit. Leah wusste von Lim, dass die abgerissenen jungen Männer vor den Aufständen und dem Hunger in ihrer südchinesischen Heimat geflüchtet, manche sogar entführt und verkauft worden waren. Pig Trade – Schweinehandel –, so nannten die chinesischen Menschenhändler das, und aus Lims bitterer Miene hatte Leah geschlossen, dass auch er an Bord einer jener elenden Dschunken gelitten hatte, die zwischen China und Singapur pendelten.
    Hermann-Otto Uhldorff kämpfte mit einem gekochten Wachtelei, bis er schließlich aufgab, es mit den Fingern aus der Brühe fischte und in den Mund schnippte.
    »Was versprichst du dir von diesem Ausflug?«, fragte er, nachdem er seine delikate Suppe aufgegessen hatte.
    »Ich möchte das Fremde begreifen. Die Journale und Reiseberichte reichen mir nicht aus. Ich möchte alles selbst erleben. Es sehen, es riechen, die Speisen kosten, mit den Menschen in ihrer Sprache reden. Manchmal fühle ich mich regelrecht getrieben.« Leah zuckte hilflos die Schultern. »Unser heutiger Ausflug wird mir viel Stoff zum Nachdenken geben, wenn du fort bist und die Langeweile mich packt. In meinem Kopf habe ich schon Dutzende Bilder gesammelt, die ich zeichnen werde.« Sie versuchte ein Lächeln, doch es gelang nur kläglich. Er nahm ihre Hand.
    »Es war nie leicht für dich. Ich zermartere mir schon lange den Kopf, wie du glücklich werden kannst.«
    Sie drückte seine Hand. »Dir wird etwas einfallen, nicht wahr?«
    »Das hoffe ich.«
    Leah aß schweigend ihre Suppe. Ihr war bewusst, dass der Vater keine Versprechungen machen konnte. Er ließ ihr ohnehin mehr durchgehen, als jeder andere Vater dies getan hätte. Dass er Missionar war, machte alles noch komplizierter. Die Gesellschaft erwartete von ihrer Familie, ein Muster an Tugend und Gottesfürchtigkeit zu sein und selbstverständlich alles Heidnische abzulehnen. An Gottesfürchtigkeit mangelte es weder dem

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