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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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ihres Vorhabens. Sie haderte mit dem Schicksal, das zwar Friedrich gesund und kräftig zurückgesandt, sie jedoch in ein entsetzliches Dilemma gestürzt hatte, denn einen der beiden Männer musste sie verletzen. Und keiner der beiden verdiente es.
    Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stieg sie vor Bowies Haus aus. Nie war ihr ein Gang schwerer erschienen. Sie sah Ross erst, als sie bei der Veranda angekommen war. Er stand in der Tür, seine ernste Miene ließ ihr Herz sinken. Während sie Stufe um Stufe erklomm, verdoppelte sich die Last auf ihren Schultern mit jedem Schritt.
    »Es spricht für dich, dass du persönlich gekommen bist«, sagte er leise. »Willst du eintreten, oder bringen wir es gleich hier hinter uns?«
    Die Resignation in seiner Stimme versetzte ihr einen Stich. Sie hatte mit Vorwürfen gerechnet, mit Wut und Anschuldigungen, nicht jedoch mit dieser abgrundtiefen Traurigkeit, die seine Augen stumpf machte und die sonst so stolz gestrafften Schultern nach unten sacken ließ. Sie hatte sich Tränen verboten, wollte jedes Drama vermeiden, doch noch bevor sie das erste Wort gesprochen hatte, verschwamm ihr Blick.
    »Du weißt es bereits?«
    Er nickte. »Der Tratsch reist schnell in dieser Stadt. Ich habe dich schon gestern erwartet.« Er streckte die Hand aus, wie um ihr über die Wange zu streichen. Dann überlegte er es sich anders und ließ den Arm fallen. »Du hast es dir nicht leicht gemacht, nicht wahr?«
    »Nein.« Fahrig zog sie ihren Rock glatt, zupfte am Ärmelbesatz, ihre Hände flatterten, ohne je zur Ruhe zu kommen. »Ich wollte dir nie weh tun«, presste sie hervor. »Du musst mir glauben. Aber ich …« Sie wusste nicht mehr weiter. Es gab keine Worte, die das Hässliche beschönigen konnten.
    Johanna hatte nie wahrgenommen, wie schön seine Augen waren, graugrün und dunkel wie die Nordsee, an deren wilder Küste er aufgewachsen war. Es lag wohl daran, dass sie ihm meist ausgewichen war, doch jetzt gab es kein Entkommen. Sein Blick hielt ihren fest, bis sie sich vor Verlegenheit räusperte. Eine Ewigkeit verging, bevor er endlich zu sprechen ansetzte. Seine Stimme, ohnehin tief und voll, war um eine weitere Oktave gesunken.
    »Meine liebe Johanna. Natürlich wusste ich, dass du mich nicht liebst, aber ich hatte gehofft, deinen Respekt zu erringen.« Er lächelte, dünn zwar, doch Johanna klammerte sich daran. »Auch ich träumte hin und wieder in den Tag hinein, und dann sah ich immer dich und mich und unsere Kinder, mindestens vier oder fünf, die auf dieser wundervollen Insel eine wilde, freie und trotzdem behütete Kindheit genießen sollten, wie sie mir nie vergönnt war.« Er schluckte. »Es soll nicht sein. Ich hätte es wissen müssen.«
    Johanna ergriff zaghaft seine Hand, halb fürchtend, er würde sie ihr entziehen. Er ließ es geschehen. »Ich respektiere dich mehr als jeden anderen Menschen, beinahe so sehr, wie ich meinen Vater respektiert habe. Nie werde ich gutmachen können, was ich dir heute antue. Solltest du mich hassen, würde ich es verstehen. Ich bitte dich jedoch inständig, mir zu verzeihen. Sei mir nicht böse.« Ihre Stimme brach.
    Bowie drückte ihre Hand so stark, dass es schmerzte. Johanna ließ sich nichts anmerken.
    »Böse?«, fragte er. »O Gott, Johanna, wie könnte ich? Kann man jemandem böse sein, der ehrlich ist?«
    Tränen wallten mit aller Macht nach oben. Sie schluchzte auf.
    »Weinst du um mich oder um dich?«
    »Um uns, Ross. Ich weine, weil ich dich doch so mag und trotzdem enttäuschen muss.«
    Seine Miene wurde schlagartig hart. »Beleidige mich nicht mit deinem Mitleid. Es reicht, dass du mich verletzt hast, wie es noch keinem Menschen je gelungen ist, aber ich werde es überleben.«
    Ein unangenehmes Gefühl beschlich Johanna. Alle Weichheit war aus seinen Zügen gewichen. Bevor sie sichs versah, riss er sie in seine Arme und drückte seine Lippen auf ihre. Sie hätte sich wehren müssen, allein es fehlte ihr die Kraft. Willenlos ließ sie seinen heftigen Kuss über sich ergehen, den letzten, den er je von ihr fordern durfte. Dann schubste er sie von sich.
    »Geh«, sagte er rauh. »Geh zu deinem Friedrich.«
    * * *
    Die Sonne sank in atemberaubender Geschwindigkeit den Hügeln Singapurs entgegen. Noch vor einer Minute, vielleicht zweien, hatte sie sich hinter einer kompakten Wolkenbank versteckt und den Himmel darüber in schillerndes Purpur getaucht, nun berührte ihr unterer Rand bereits die Wedel der Palmen auf dem Government Hill.

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