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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Johanna fing ihren Blick im Spiegel auf. Alarmiert fuhr sie herum. »Was ist los?«
    Die Schwester rang sichtlich um Fassung. »Wir haben Besuch«, sagte sie schließlich tonlos und trat beiseite, um den Gast einzulassen.
    Für einen langen Moment hielt die Welt den Atem an. Kein Laut, nicht einmal das Summen eines Moskitos, wagte die Stille zu stören, die sich beim Eintreten des sehnigen, vollbärtigen Besuchers über die kleine Gesellschaft senkte. Johanna fühlte nichts. Ihr Kopf war völlig leer ob der Erscheinung dort in der Tür, am anderen Ende des Raums. So weit entfernt. So nah.
    Der Mann räusperte sich. »So ist das also. Ich komme zu spät«, sagte er zu Johanna, unendliche Traurigkeit in seiner Stimme. Dann verließ er den Raum. Johanna fasste sich erst, als sie das Gartentor klappern hörte. Sie raffte die Volants des Reifrocks und stürzte Friedrich nach. Seine Kutsche setzte sich in Bewegung, bevor sie ihn erreichte.
    * * *
    Der Kutscher schnalzte mit der Peitsche, und das alte Pony trabte an. Es zuckelte so langsam die Waterloo Street hinunter, dass Alwine Uhldorff Schritt halten konnte. Sie hatte die Hand auf den Fensterrahmen gelegt und redete mit schriller Stimme auf Johanna ein, in der Hoffnung, die Tochter umzustimmen. Johanna blickte stur geradeaus auf die zerkratzte Holzwand vor ihr und versuchte, ihre Mutter zu ignorieren.
    An der Ecke zur Bras Basah Road riss ihr der Geduldsfaden. Sie klopfte gegen die Wand und hieß den Kutscher anzuhalten. Unwirsch stieg sie aus und stellte sich vor die Mutter, machte sich bewusst größer, als sie ohnehin war, um sie einzuschüchtern.
    »Was willst du eigentlich?«, fragte sie scharf. »Vor anderthalb Jahren warst du Feuer und Flamme für Friedrich. Warum lehnst du ihn jetzt ab?«
    »Du hast nicht ein einziges Wort mit ihm gewechselt, seit er vorgestern so überraschend aufgetaucht und wieder verschwunden ist. Wer weiß, was er will, wo er war?«
    »Er spricht nicht mit mir, weil er mich schonen will. Ich weiß nicht, was ihm widerfahren ist, doch in seinen Augen habe ich Leid gesehen. Leid und zerstörte Hoffnung. Und Liebe. Hast du nicht seinen Schmerz bemerkt, als ihm klarwurde, dass mein Putz einem anderen gilt? Kannst du dir nicht vorstellen, wie ihn das zerreißt, nachdem es ihm Monat um Monat nicht gelungen war, mir eine Nachricht zukommen zu lassen?«, fügte sie leise hinzu.
    »Du wirst auch Ross Bowie lieben lernen. Bisher hast du es ja nicht einmal versucht. Jedenfalls ist Bowie ein anständiger Mann.«
    »Und wer sagt dir, dass Friedrich nicht anständig ist?«, fragte Johanna mit erhobener Stimme. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich hinreißen lassen, ihre Mutter anzuschreien.
    Auch Alwine Uhldorff wurde laut. »Während du in seinen himmelblauen Augen versunken bist, habe ich den Rest gesehen. Ärmliche Kleidung, verbrannte Haut, ungepflegtes Haar. Kein Zoll der Gentleman, der dir ganz Asien zu Füßen legen wollte, sondern ein abgerissener armer Schlucker, der nicht in der Lage ist, eine Familie zu ernähren.«
    »Ha! Das ist es also. Das Geld. Genau darum ist es dir die ganze Zeit gegangen. Ich habe es immer geahnt, aber dass du es so unverblümt aussprichst, überrascht mich doch.« Sie warf den Kopf in den Nacken und kletterte wutschäumend wieder in die Kutsche. »Lass mich tun, was mein Herz mir vorschreibt.«
    »Und am Ende stehst du ganz ohne Mann da. Wer sagt denn, dass von Trebow dich überhaupt noch will?«
    Johanna biss die Zähne aufeinander und signalisierte dem Kutscher, weiterzufahren. Sie wusste tatsächlich nicht, ob Friedrich sie noch wollte. Doch hatte sie wirklich eine Wahl? Johanna lehnte sich mit geschlossenen Augen in der Kutsche zurück. Sie liebte Friedrich stärker denn je. Jede Faser ihres Wesens sehnte sich nach ihm, unsichtbare Spinnenfäden zogen sie zu ihm, der irgendwo in einem Mietzimmer zwischen den schillernden Splittern seiner zerschmetterten Träume hockte. Ross wusste um ihre Gefühle für Friedrich, musste es ihm dann nicht wie Hohn vorkommen, wenn sie ihn trotzdem heiratete, nun, da der Totgeglaubte in Singapur weilte? Sie konnte ihm niemals unbefangen entgegentreten, von Liebe ganz zu schweigen. Sollte sie tatsächlich am Ende dieses Nachmittags ohne Mann dastehen, dann würde sie auch das hinnehmen. Nur Bowie und sich selbst etwas vormachen, das wollte sie nicht mehr.
    Als die lieblichen Obstplantagen der Orchard Road am Fenster vorbeizogen, verzagte Johanna erneut vor der Ungeheuerlichkeit

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