Die Insel der Orchideen
einmal sauste der dünne Rattan nieder. Schwindel erfasste ihn, sein Mund füllte sich mit Blut, weil er sich auf die Zunge biss. Nach vier Schlägen ließen sie von ihm ab und schleiften ihn bäuchlings zu den anderen Sklaven, die gezwungen worden waren, der Züchtigung beizuwohnen. Angstvoll rückten sie beiseite. Friedrichs Flucht hatte ihn zum Paria gemacht.
Sein Rücken brannte wie Feuer, doch eine erlösende Ohnmacht war ihm nicht vergönnt, denn nun wurde Collister gebracht. Auch er trug keine Fesseln. Im Gegensatz zu Friedrich wehrte er sich wie ein Besessener, trat um sich, biss sogar, doch am Ende rangen sie ihn zu Boden. Schon sauste der Stock nieder. Collister brüllte, steckte einen zweiten Schlag ein, einen dritten. Nur noch einen, dachte Friedrich, halt aus, mein Freund. Sie lassen dich am Leben!
Es kam anders. Collister hatte noch genug Kraft in sich. Mit einem Schrei, der einen Tiger in die Flucht geschlagen hätte, riss er sich plötzlich von den viel kleineren und schlankeren Balanini los. Mit unglaublicher Schnelligkeit war er auf den Füßen und entriss einem der Henker den Keris. Einen Wimpernschlag später sank der Pirat mit aufgeschlitzter Kehle zu Boden, gefällt von seinem eigenen Dolch. Collister hatte sein Todesurteil selbst herbeigeführt. Zu Dutzenden stürzten sie sich auf ihn, rangen ihn ein zweites Mal nieder, und diesmal gab es keine Gnade. Unaufhörlich hagelten die Rattanschläge auf ihn ein, seine Schreie wurden dünner, sein Körper verwandelte sich in einen blutigen Klumpen, und dann war es vorbei. Gespenstische Stille lastete auf der Lichtung vor dem Dorf.
Noch bevor es zu Ende ging, schloss Friedrich voller Grauen die Augen, doch seine Ohren konnte er nicht verschließen. Bis zu seinem eigenen Tod würde er Collisters Todesschreie Nacht für Nacht in seinen Träumen hören, würde schweißgebadet aufwachen und sich wieder in jenem Dorf wähnen.
Wochen später trieb die Piratenflotte ziellos über die Celebessee. Die Kapitäne der einzelnen Boote saßen seit Stunden, in eine laute und gestenreiche Diskussion verstrickt, auf dem Hauptboot, sichtlich uneins, ob sie in ihre Heimatdörfer zurückkehren oder einen weiteren Raubzug wagen sollten. Die Rudersklaven genossen die Ruhe, dösten oder unterhielten sich mit ihren Banknachbarn.
Friedrich wurde nach wie vor gemieden. Sein Rücken war verheilt, wulstige Narben überzogen sein Fleisch, doch ihm war es einerlei. Mit Collisters Tod war sein Überlebenswille gebrochen. Immer wieder starrte er sehnsüchtig ins dunkel lockende Meer. Er beugte sich weit über die Bordwand. Niemand schenkte ihm Beachtung. Wenn er jetzt sprang, wäre es vorbei. Schon zog er ein Bein an, langsam, damit niemand sein Tun entdeckte, als ihm plötzlich Johannas Antlitz von der glatten Wasseroberfläche entgegenlächelte wie aus einem Spiegel. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder. Das Trugbild war fort, doch sein Entschluss, dem Leben ein Ende zu setzen, wankte und brach schließlich zusammen. Schweißgebadet setzte er sich zurück an seinen Platz. Nicht zum ersten Mal hatte die Erinnerung an Johanna seine Selbstmordpläne vereitelt, doch er spürte, dass ihre Macht, ihn ans Leben zu binden, mit jedem Tag schwächer wurde.
Ein Ruck ging durch die Piratenschar, aufgeregte Rufe erhoben sich. Aller Blicke richteten sich nach Süden, wo ein großes Schiff am Horizont aufgetaucht war. Kaum eine halbe Stunde später hatten alle Boote die Segel gesetzt, die Kapitäne waren zurück an ihren Plätzen, und die Sklaven legten sich unter dem drohenden Knurren ihrer Herren so stark in die Riemen, dass sich ihre Muskeln in dicken Strängen unter der Haut zeigten. Immer wieder lugte Friedrich nach vorn zu dem Schiff. Er wusste nicht, ob er verzweifeln oder sich über den Angriff freuen sollte. War den Piraten nicht aufgefallen, dass es sich um ein wehrhaftes amerikanisches Dampfschiff handelte? Offensichtlich nicht, denn der Einpeitscher trieb die Sklaven zu einem unmenschlichen Takt an, der die Korokoros regelrecht übers Wasser fliegen ließ.
Die Mannschaft des großen Schiffes musste sie längst gesehen haben, doch anstatt ihr Heil in der Flucht zu suchen, drehte sie in einem überraschenden Manöver bei. Bevor sich die Piraten von ihrem Schrecken erholt hatten, wurden sie von einer Breitseite aus modernen, weittragenden Kanonen bestrichen. Ungläubiges Geheul setzte ein, als schon die erste Salve zwei Treffer verzeichnete und die Korokoros samt Piraten,
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