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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Beste.«
    Nein, dachte Johanna, nur weil man etwas nicht ausspricht, ist es nicht vergessen. Deine Erlebnisse bei den Piraten nicht, die du in dir verschließt, und ebenso wenig die Sache mit Leah. Wortlos strich sie ihrem Ehemann über Haar und Wangen, wie sie es bei ihrem Sohn so oft tat. Von einem Moment zum anderen war sie es, die Trost spendete. Es wunderte sie nicht. Ihr war seit langem bewusst, dass sie die Stärkere von ihnen war.
    * * *
    Seit über einer Stunde stand Leah am Fenster ihres winzigen Zimmers. Die billige Absteige befand sich in einer schlecht beleumundeten Gegend von Intramuros, jener von mächtigen Mauern umschlossenen spanischen Stadt, die den Kern Manilas bildete. Folgerichtig schob sich eine bunte Menge von Spaniern, Philippinos, Chinesen und Mulatten durch die Gasse, auf der Suche nach Zerstreuung, die sie bei den in den Hauseingängen wartenden Mädchen fanden. Hier und da teilte sich die Menge unwillig für einige spanische Soldaten, hin und wieder bahnte sich eine in fröhlichen Farben bemalte Calesa, den Kutschen Singapurs nicht unähnlich, ihren Weg. Hunderte Stimmen drangen zu Leah herauf, webten einen Teppich aus Lauten, dem sie keinen Sinn entnehmen konnte, denn die meisten Sprachen der spanischen Kolonie waren ihr unbekannt.
    Bald zwei Wochen war sie nun schon hier, und noch immer wusste sie nicht, wie es weitergehen sollte. Tag für Tag hockte sie in ihrem schäbigen Zimmer und wartete vergeblich auf eine Eingebung. Die Vorfälle auf der Dschunke hatten ihren Glauben an die eigene Unverwundbarkeit ins Wanken gebracht; es fiel ihr ungemein schwer, sich auf die nächsten Schritte zu konzentrieren. Dabei konnte sie sich glücklich schätzen, überhaupt hier zu sitzen.
     
    Nachdem der vierschrötige Kapitän sie in seine Kajüte gestoßen und die Tür hinter sich zugeknallt hatte, war sie aufs Schlimmste gefasst gewesen. Drohend pflanzte er sich vor ihr auf und musterte sie wie ein seltenes und überaus unangenehmes Insekt. Dann trat er einen Schritt auf sie zu. Wie paralysiert starrte Leah auf seine großen Hände, wartete darauf, dass er sie packte, um ihr seinen Willen aufzuzwingen.
    »Wer hat dich an Bord geschmuggelt?«
    »Niemand.«
    Seine Hände sanken schwer auf ihre Schultern. »Lüg mich nicht an!«
    »Ich hatte keine Hilfe.«
    Die Ohrfeige traf sie unerwartet. Wimmernd hielt sie sich die Wange. Das Pochen in ihrem Kiefer, dort, wo der Zahn herausgeschlagen war, steigerte sich ins Unerträgliche. Trotzdem schüttelte sie den Kopf. »Ich bin allein.«
    In seinen Augen flackerte Bewunderung auf. »Ich glaube dir kein Wort, aber gut. Wo sind deine Sachen?«
    Sie beschrieb ihm das Versteck. Er öffnete die Tür, brüllte einen Befehl, und kurz darauf brachte einer der Matrosen ihre Tasche. Der Kapitän warf sie ihr vor die Füße.
    »Sieh nach, ob nichts fehlt.«
    Leah ging in die Knie und durchwühlte hastig ihre wenigen Habseligkeiten. Erleichtert ertastete sie Schmuck und Münzen. Sie zog die Börse heraus und hielt sie ihm hin. »Ist das genug, damit Sie nicht …« Zitternd verblieb sie in ihrer halb kauernden Position.
    Er nahm den Beutel, wog ihn in der Hand. »Ist das alles?«
    »Ich besitze etwas Schmuck«, gab sie angstvoll zu.
    »Dann pass gut auf ihn auf.« Zu ihrer Überraschung warf er ihr den Beutel wieder zu. »Und darauf auch.« Abrupt drehte er sich um und riss die Tür auf. »Du bleibst hier. Solltest du dich draußen zeigen, überlege ich es mir vielleicht anders und überlasse dich meinen Männern, verstanden?«
    Leah nickte mechanisch. Noch war die Erkenntnis nicht in ihr Bewusstsein gedrungen, dass sie ungeschoren davongekommen war.
    »Übermorgen erreichen wir Manila«, knurrte er. »Dann verschwindest du.«
     
    Leah trat vom Fenster zurück und setzte sich auf das schmale Bett. Ihre Zungenspitze tastete in die Zahnlücke; eine bleibende Warnung vor zukünftigen Dummheiten.
    Nachdem Leah klargeworden war, dass der Kapitän sie schützte, hatte sie ihn angefleht, er möge sie gegen Bezahlung bis Hongkong mitreisen lassen, doch er war hart geblieben: Eine Frau an Bord bedeutete Ärger. Leah hatte sich fügen müssen, war in Manila an Land gegangen und hatte sich nach langem Suchen für diese Pension entschieden. Frauen unterschiedlicher Herkunft gingen in dem Haus ihren Geschäften nach; niemand hatte Fragen gestellt, als sie einzog. Man befasste sich nicht miteinander. Hier hatte jede Frau bis hin zur Wirtin eine Geschichte, die man nicht dem

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