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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Versteck auszuharren und auf eine günstige Gelegenheit zu warten, wieder in den untersten Laderaum zu schlüpfen.
    Doch der Matrose, der über sie gestolpert war, stapfte zur Einstiegsluke, und nur wenig später erklang das Getrappel vieler Füße. Offensichtlich hatte der Mann ihren Schreckensschrei als den einer Frau erkannt.
    Angstvoll lauschte Leah, doch die Matrosen senkten ihre Stimmen zu einem unverständlichen Flüstern. Geistergleich schob sich schließlich der Umriss eines einzelnen Mannes in ihr Sichtfeld, leise und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, spähte hinter Kisten und Säcke, kam immer näher. Auch die anderen Matrosen gaben kaum einen Laut von sich, glitten in unheimlicher Stille übers Deck. Siedend heiß fuhr es Leah durch die Glieder, als die Erkenntnis sie mit voller Wucht traf: Der Kapitän sollte nichts merken! Die Männer wollten die blinde Passagierin für sich allein haben! Sie krümmte sich innerlich vor Angst und presste sich verzweifelt noch tiefer in den Spalt. Der Matrose kam unaufhaltsam näher. Sie hielt die Luft an. Kurz verdeckte sein Körper das Mondlicht, als er an ihrem Versteck vorbeischlich. Leah presste ihre Fingernägel so fest in die Handflächen, dass es schmerzte. Sie wagte nicht zu atmen. Er schlich weiter, hatte den Spalt offenbar nicht bemerkt. Sie zählte bis zehn. Langsam und unhörbar ließ sie die Luft aus den Lungen entweichen. Sie glaubte schon, davongekommen zu sein, da zerrte der Matrose sie mit eisernem Griff aus ihrem Versteck. Leah schlug um sich, trat und kratzte, aber es nutzte nichts. Ein letzter Ruck, und sie fiel auf die Planken. Sofort war er über ihr und presste die Hand auf ihren Mund. Leise Stimmen erhoben sich, das Getrappel schwoll an. Schon packten die ersten nach ihren Armen und Beinen und wollten sie fortschleifen. Leah biss zu, so fest sie konnte. Der Mann riss mit einem Fluch seine Hand fort. Sie schrie und schrie, bis ein grober Faustschlag direkt auf den Mund sie zum Verstummen brachte. Greller Schmerz durchzuckte sie, sie schmeckte Blut. Würgend spuckte sie einen ausgeschlagenen Backenzahn aus. Der Druck der Männerhände auf ihre Glieder verstärkte sich, obwohl sie um sich trat wie eine Besessene.
    Das unwirsche Bellen einer autoritätsgewohnten Stimme fuhr wie ein Schwertstreich in den Tumult. Alle Bewegung, alles Geschrei erstarb augenblicklich. Im nächsten Moment stand der wutschnaubende Kapitän vor Leah und ihren Peinigern. Die Matrosen ließen einer nach dem anderen von ihr ab und traten kleinmütig einen Schritt zurück. Der riesenhafte Kapitän wartete, während sich Leah mühsam erhob, fasste sie dann unterm Kinn und zwang ihren Kopf in den Nacken.
    »Eine englische Dirne in Kulikleidung«, knurrte er. »Man lernt nie aus.«
    »Ich bin keine Dirne«, flüsterte Leah, wohl wissend, dass ihr niemand Glauben schenkte. In den asiatischen Häfen wimmelte es von Frauen aller Nationalitäten, die dem schmutzigen Gewerbe nachgingen.
    »Keine Dirne? Nur eine Ausreißerin?« Er lachte rauh. »Nun, der Weg in die Bordelle ist auch für dich nicht mehr lang. Früher oder später landet ihr alle dort. Da kannst du auch gleich hier an Bord mit deinem neuen Geschäft beginnen, um die Passage zu bezahlen.«
    »Ich habe Geld!«
    Ein amüsiertes Lachen erklang. »Das finden wir schon. So groß ist das Schiff auch wieder nicht.«
    Leah wurde eiskalt. Als der Kapitän sie hart am Arm packte und in Richtung seiner Kajüte zog, ging sie widerstandslos mit. Wohin hätte sie auch fliehen sollen?
    * * *
    Johanna erwachte mit einem Ruck. Verwirrt flackerte ihr Blick durch die Dunkelheit des Zimmers. Noch hielt der fürchterliche Traum sie in seinen Fängen, wirbelten die Stimmen gesichtsloser Männer und die Schreie ihrer Schwester durch ihren pochenden Schädel. Erst als sich Friedrich im Schlaf herumwälzte, zogen sich die Spukgestalten aus der Traumwelt zurück.
    Johanna setzte sich auf und schwang die Beine auf den Boden. Das Laken lag als heller, knittriger Haufen neben dem Bett, ihr Nachthemd klebte schweißgetränkt am Körper. Leise erhob sie sich, verließ das Zimmer und tappte die Treppe hinunter. Die Uhr im Salon zeigte zwei Uhr an, die stillste und kühlste Stunde der Nacht. Sie trat auf die Veranda. Noch immer klopfte ihr Herz heftig gegen ihre Rippen, während sie sich immer und immer wieder sagte, es sei nur ein Traum gewesen, nur der Widerhall ihrer eigenen Ängste.
    Es half nichts. Wieder und wieder schrillte Leahs

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