Die Insel der Orchideen
Nächstbesten anvertraute.
Leah erschauderte. Der Schmuggler-Kapitän hatte recht behalten, ihr Weg hatte sie direkt ins Bordell geführt, und wenn sie nicht bald eine Anstellung fand, würde auch sie in absehbarer Zeit ihre Tür den Männern öffnen müssen. Wie zur Bestätigung drangen die Laute eines Liebesgerangels durch die papierdünnen Wände und klatschten Leah wie Ohrfeigen ins Gesicht. Sie schüttelte sich. Nein, niemals durfte sie sich so weit erniedrigen! Es musste endlich etwas geschehen.
Mit plötzlichem Eifer wühlte sie ein einfaches helles Kleid nach europäischem Schnitt aus der Tasche. Es hatte gelitten, doch ein paar Häuser weiter gab es ein umtriebiges chinesisches Ehepaar, das seinen Lebensunterhalt mit dem Waschen und Plätten der Hurenkleidung verdiente. Kurz entschlossen legte sie sich das Kleid über den Arm und besuchte den Laden der beiden. Am nächsten Morgen holte sie es noch vor dem Frühstück wieder ab, zog sich um und steckte die Haare zu einem züchtigen Knoten zusammen. Einen Hut und anständige Schuhe besaß sie nicht mehr. Ersteres ließ sich nicht ändern, aber ihre einfachen Sandalen konnte sie hoffentlich mit dem bodenlangen Rock kaschieren. Den ganzen restlichen Tag verbrachte sie damit, an die Türen der Wohlhabenden zu klopfen. Irgendjemand musste einfach Bedarf an einem Portrait oder einer vielsprachigen Gouvernante haben.
Es bestand kein Bedarf, weder am einen noch am anderen. Als Leah am späten Nachmittag in ihr Zimmer zurückkehrte, war sie der Verzweiflung nahe. Wo auch immer sie vorstellig geworden war, hatten die spanischen Señores und Señoras sie nur naserümpfend gemustert. Gerade noch, dass man sie nicht mit Tritten fortgejagt hatte. In Manila konnte und wollte sie nicht bleiben, und diese Erkenntnis riss sie endgültig aus ihrer Lethargie.
Sie legte ihr europäisches Kleid ab und zog ihre beste Kleidung an, eine grünseidene chinesische Frauenhose und ein passendes, seitlich geknöpftes Hemd. Wehmütig strich sie über den glatten Stoff und den kunstfertig gestickten Phönix, der sich über die gesamte Vorderfront ergoss. Vor langer Zeit, in einem anderen Leben, hatte Boon Lee ihr die Tracht geschenkt. Sie verdrängte die aufwallende Traurigkeit, stopfte einen Teil ihres Schmucks in einen Beutel und verließ das Haus. Hastig eilte sie zur Brücke über den Pasig-Fluss und in die chinesische Siedlung am anderen Ufer.
Es dauerte nicht lange, bis sie einen chinesischen Geldwechsler gefunden hatte, der ihr einen guten Preis für den Schmuck machte. Der Mann, selbst Hokkien, war so entzückt über die Europäerin, die seine Sprache fließend sprach, dass er ihr sofort seine Hilfe anbot, als sie erwähnte, eine günstige Passage nach China zu suchen. Sie verabredeten sich für den Abend des übernächsten Tages; bis dahin hoffte er, die richtigen Leute ausfindig gemacht zu haben. Beschwingten Schrittes machte Leah sich auf den Rückweg, glücklich, endlich einen Verbündeten in der ihr feindlich gesinnten Stadt gefunden zu haben. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, doch in den überfüllten Straßen fühlte sie sich sicher. Leah ließ sich von dem Menschenstrom mitreißen und fand sich unversehens vor der Puerta de Parian, dem östlichen Stadttor, wieder. Gerade wollte sie an den spanischen Wachen vorbeischlüpfen, als sie unsanft an der Schulter gepackt und zurückgerissen wurde.
»¡Hola! ¿A quién tenemos aquí?« Der Soldatenhauptmann grinste sie breit an. Weitere Soldaten kamen hinzu und bildeten einen Ring um sie. Hektisch sah sich Leah um. Menschen drängten in beide Richtungen durch das Tor, doch jedes Mal, wenn sie den Blick eines Passanten festzuhalten suchte, schlug er die Augen nieder. Mit den Soldaten legte man sich besser nicht an. Diesmal würde ihr niemand helfen.
»Lo sentimos, no hablo español«, sagte sie und bemühte sich um eine feste Stimme, gleichzeitig fingerte sie unter ihrem Hemd nach dem kurzen Dolch, den sie nach ihrer Ankunft in Manila erstanden hatte. Der Soldatenhauptmann packte sie an der Schulter. In Panik riss Leah den Dolch heraus und stach auf den Arm des Mannes ein. Er ließ sie mit einem schmerzerfüllten Aufschrei fahren. Leah wirbelte herum, stieß einen der perplexen Soldaten beiseite und suchte ihr Heil in der Flucht.
Sie kam nur ein paar Schritte weit. Zu eng war der Durchlass, zu dicht drängten sich die Menschen. Wutentbrannt befahl der Hauptmann, sie zu fesseln und fortzubringen. Der kräftigste der
Weitere Kostenlose Bücher