Die Insel der Orchideen
das Klopfen eines Hammers, Frauenstimmen. Er nahm seinen Mut zusammen und trat im Bewusstsein, nicht willkommen zu sein, durch das Tor.
Johanna von Trebow stand mit ihrer Mutter auf der Veranda. Koh Kok ging zögerlich auf die Frauen zu. Als Alwine Uhldorff ihn entdeckte, machte er eine tiefe Verbeugung und grüßte höflich. Alwine Uhldorff versteinerte, auf Johanna von Trebows Stirn zeigte sich eine Zornesfalte.
»Sie wünschen?«, fragte sie knapp.
Er räusperte sich, suchte nach Worten. Ihre Augen irritierten ihn, nicht nur die Farbe, ein dunkles Grau, wie er es noch nie gesehen hatte, sondern vor allem deren Beredtheit. Johanna von Trebows harsche Frage konnte nicht die Hoffnung kaschieren, die sein unvermutetes Auftauchen in ihr entfachte. Noch immer stumm, hielt er ihr den Brief entgegen.
Sie verstand sofort. Wie er zuvor dem Tischler das Papier aus der Hand gerissen hatte, nahm sie es nun hastig an sich und überflog die Zeilen. Rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen, und auch ihre Hände zitterten. Koh Kok war, als spiegelten sich seine eigenen Empfindungen in ihrer Person. Johanna von Trebow litt ebenso wie er.
Leah hatte oft abwertend über ihre Schwester gesprochen, ein fügsames Lamm sei sie, langweilig und am Ende aus Feigheit zur Verräterin geworden, aber er hatte immer gewusst, dass dies nur ein Zerrbild war.
»Sie haben keinen Brief erhalten?«, fragte er, nachdem sie Leahs Zeilen ein drittes Mal gelesen hatte, langsam und mit sich stumm bewegenden Lippen, als wolle sie sich jedes Wort für immer ins Herz schreiben.
Sie sah ihn an wie eine Ertrinkende. Betäubt schüttelte sie den Kopf, dann gab sie ihm den Brief zurück. »Danke, dass Sie ihn mir gezeigt haben.«
Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Alwine Uhldorffs Stimme wie ein Messer zwischen sie schnitt. »Johanna!«, rief sie. »Ist das etwa dieser Märchenerzähler?«
»Ja.« Johanna von Trebow drehte sich nicht um, sondern hielt weiter seinen Blick gefangen.
»Er soll verschwinden. Ich will ihn hier niemals wiedersehen.« Die Stimme der Älteren überschlug sich vor Empörung. »Hat er uns nicht schon genug angetan?«
Koh Kok zog den Kopf zwischen die Schultern. Alwine Uhldorffs verletzende Worte erreichten ihr Ziel, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass sie aus Ohnmacht und Verzweiflung geboren waren. Er fühlte dasselbe, und das wiederum machte ihn angreifbar.
»Sie haben es gehört«, sagte Johanna von Trebow matt. »Gehen Sie. Und kommen Sie nicht wieder.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
Sie nickte.
»Dann leben Sie wohl.« Koh Kok ging schleppenden Schritts auf das Tor zu. Wie gern hätte er dieser Frau seine Freundschaft angeboten, ihr geholfen, den Schmerz und die nagenden Schuldgefühle zu meistern, doch dies war nicht der richtige Zeitpunkt, und vielleicht würde er nie kommen. Es gab Dinge, über die man niemals sprechen konnte.
»Wir müssen abwarten«, sagte er leise. »Vielleicht führt ein günstiger Wind Leah eines Tages zu uns zurück.«
Johanna rührte sich nicht.
13
Dezember 1860 , sechs Monate später
J ohanna konnte an diesem vierten Weihnachtsfest in ihrer neuen Heimat keine Freude empfinden. Wie sehr hatte sie in Hamburg die Weihnachtszeit geliebt, das gemeinsame Singen, den Duft nach Gebäck, den Kirchgang und die Lichter, doch seit sie in Singapur weilte, schien ihr kein vergnügtes Fest beschieden zu sein. Dabei gab sie sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, um Hermann den Zauber der Weihnacht nahezubringen. Mit großen Augen saß er neben ihr auf der Kirchbank. Im letzten Jahr war er noch zu klein gewesen, heute, mit seinen beinahe zwei Jahren, war ihm die Welt jeden Tag aufs Neue ein Wunder. Lange hatte er Johanna Anlass zur Sorge gegeben, weil er den Mund nicht aufbekam, doch seit zwei Monaten plapperte er ununterbrochen in einem Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch, Hokkien und Malaiisch, das mal zu der einen Sprache tendierte, mal zur anderen. Johanna war überzeugt, dass er bald alle Sprachen beherrschen würde. Sie war sehr stolz auf ihren aufgeweckten Sohn.
Während sie ohne großen Eifer mit den anderen Messebesuchern Weihnachtslieder sang, wanderte ihr Blick zu Friedrich, der es geschafft hatte, nicht nur Hermann, sondern auch ihre Mutter und die gesamte Familie Robinson zwischen sie beide zu bringen. Sein Mund war zu einem festen Strich zusammengekniffen; er gab nicht einmal vor, zu singen.
Was war nur geschehen? An jenem verfluchten Tag, als Friedrich die Hand
Weitere Kostenlose Bücher