Die Insel der roten Erde Roman
Regierungsbeauftragter ist mit einer Abordnung von 26 Aborigines nach Hobart Town gekommen. Ein groteskeres Schauspiel als die Ankunft dieser Eingeborenen haben wir selten erlebt. Einige waren wild und furchteinflößend, andere eher ängstlich. Natürlich hat man sie vor der Stadtgrenze in Hosen gesteckt, damit sie die tugendhaften Frauen hier nicht zu Tode erschreckten. Sie kamen in Schlachtordnung, und jeder Krieger trug einen dreieinhalb bis viereinhalb Meter langen Speer in der linken Hand. Unter lautem Schlachtgebrüll zogen sie vor das Regierungsgebäude, wo der Vizegouverneur sie empfing und jedem einen Laib Brot gab. Anschließend spielte eine Musikkapelle, und die Eingeborenen führten die Kunst des Speerwurfs vor. Marcus war bitter enttäuscht, weil er das verpasst hat.
3. August
Mir ist nicht gut heute, deshalb werde ich Mutter, Vater und Marcus nicht begleiten, sondern zu Hause bleiben.
5. August
Vorgestern ist etwas Furchtbares geschehen. Seit zwei Tagen weine ich nur noch. Mein Leben wird nie mehr so sein wie früher. Ich habe keine Familie mehr. Ich bin ganz allein auf der Welt.
Tränen hatten die Schrift verschmiert. Der nächste Eintrag erfolgte erst vier Wochen später.
Sarah empfand fast Mitleid mit Amelia. Fast. Sie musste nur an die arme Lucy denken, und schon verging ihr jegliches Mitgefühl. Jetzt verstand sie, weshalb Amelia so war, wie sie war. Vom Tag ihrer Geburt an war sie nach Strich und Faden verhätschelt und verwöhnt worden. Sarah bezweifelte, dass sie jemals einen Staubwedel oder einen Scheuerlappen in der Hand gehabt, geschweige denn auf Händen und Knien einen Fußboden geschrubbt hatte. Ein hämisches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ich wette, das hat sich inzwischen geändert, dachte sie. Sie stellte sich vor, wie Amelia auf der Farm schuften musste, wie sie Hühner fütterte und den Schweinestall ausmistete, bis zu den Knöcheln in stinkendem, matschigem Dung. Und dann der Berg Wäsche, der bei sechs Kindern anfiel und gewaschen werden musste! »Die gute Amelia steht bestimmt von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Waschbrett«, sagte sie und lachte bei dem Gedanken an Amelias rote, entzündete, wunde Hände und den Schweiß, der ihr übers Gesicht lief. Sie hatte nichts anderes verdient, fand Sarah.
»Und ich habe es verdient, ihr Leben zu führen«, flüsterte sie vor sich hin. »Und genau das werde ich tun. So es eine Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt, werde ich Amelias Geld bekommen, den Grundbesitz ihrer Eltern und Lance Ashby obendrein.«
14
Eines Morgens trat Amelia aus ihrer Hütte, ohne dass sie Rauch aus dem Kamin von Evans Haus aufsteigen sah. Merkwürdig, dachte sie. Er machte jeden Morgen Feuer, weil er behauptete, sie schichte das Holz nicht richtig auf, und dann sei alles voller Qualm.
Sie ging zum Haus hinüber und rief leise nach Evan.
»Ich bin hier«, kam seine Antwort aus dem Zimmer der Kinder.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ich fürchte, nein.«
Sie hörte die Sorge in seiner Stimme und ging zu ihm. Er saß auf Milos Bett und tupfte ihm die Stirn mit einem nassen Lappen ab. Selbst in dem schummrigen Licht konnte sie sehen, dass der kleine Junge schweißüberströmt war.
»Großer Gott, Milo!« Sie eilte zu seiner Bettstatt.
»Als er gestern Abend schlafen ging, war alles in Ordnung, aber dann ist er gegen Mitternacht aufgewacht und war ganz fiebrig«, berichtete Evan. »Ich versuche seit Stunden, das Fieber mit kalten Umschlägen zu senken, aber ich schaff es nicht.«
Die Jüngsten schliefen noch; nur Sissie und Rose waren wach und schauten ängstlich herüber.
»Kommen Sie, wir bringen ihn in Ihr Bett«, sagte Amelia. Sie wollte die Kleinen nicht wecken. Außerdem fiel kaum Licht durch das eine winzige Fenster, und sie wollte sich Milo genauer ansehen. Vielleicht hatte er einen Ausschlag.
Evan trug den Jungen ins andere Zimmer hinüber und legte ihn behutsam auf sein Bett. Als er ihn zudecken wollte, hielt Amelia ihn zurück. »Nein, lieber nicht. Sein Körper darf sich nicht noch mehr erhitzen.« Sie untersuchte die Haut des Jungen nach Rötungen. »Wir müssen die Temperatur herunterbekommen.«
Evan war krank vor Sorge um seinen Sohn. »Es ist so kalt hier drin.« Er hatte Angst, der Kleine würde eine Lungenentzündung bekommen – falls er nicht schon daran erkrankt war, denn zwei Tage zuvor waren Vater und Sohn draußen bei den Schafen von einem kräftigen Regenguss überrascht
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