Die Insel der roten Mangroven
Familien der Pflanzer reagierten mittlerweile hysterisch, wenn auch nur die kleinste Magenverstimmung auftrat.
Victor brachte dafür ein gewisses Verständnis auf – Macandal und seine Verschwörer mordeten weiter, in allen Teilen der Kolonie, und man konnte nie wissen, wen es als Nächsten treffen würde. Für den Arzt war es jedoch enervierend. Am letzten Wochenende war er zwei Stunden wie der Teufel geritten, um dann am Bett eines Kindes zu stehen, dessen Zustand sich nach drei Tassen Kamillentee schon wesentlich gebessert hatte. Victor hatte auch langsam den Verdacht, dass sich die Magenbeschwerden häuften, wenn die Leute wussten, dass ein Arzt in der Nähe war. Sie taten das sicher nicht bewusst, wenn sie sich jedoch etwas sicherer fühlten, entlud sich die Anspannung. Victor hatte jedenfalls kaum noch Lust, seine Eltern zu besuchen, und fuhr nur deshalb zweimal im Monat nach Nouveau Brissac hinaus, weil Deirdre es sich wünschte. An den Pferdeburschen dachte er dabei nie, und Amali war zu schüchtern, ihn immer wieder daran zu erinnern. Die Köchin warf ihr schließlich ohnehin dauernd vor, sich zu viel um ihr Kind und zu wenig um die Arbeit zu kümmern.
Sabina war anfänglich eingeschüchtert gewesen wie alle Sklaven auf der Dufresne-Plantage, doch Deirdres und Victorsfreundlicher Umgang mit ihren Dienern ließ sie auftrumpfen. Amali musste sich ständig anhören, dass sie mindestens noch ein Küchenmädchen und ein Hausmädchen brauchte, wenn sie das Haus auch nur halbwegs adäquat führen wollte. Victor und Deirdre hielt sie das ebenfalls vor, woraufhin Victor ihr ein ums andere Mal geduldig erklärte, dass die Arztpraxis einfach nicht genug abwerfe, um sich mehr Personal zu leisten. Und Deirdre fand das Haus gut genug geführt. Es war ja viel kleiner als etwa Cascarilla Gardens, und neben ihrer sonstigen Arbeit hielten Amali und Nafia es mühelos sauber, während Deirdre mit Liberty schäkerte.
»Wenn wir selbst einmal Kinder haben«, hielt sie die Köchin hin, die so gern einem großen Haushalt vorgestanden hätte, »dann brauchen wir sicher noch ein Mädchen. Aber so …«
Amali jedenfalls mochte ihrer Herrschaft auf keinen Fall auf die Nerven gehen und half auch gern mal in der Küche aus. Die Arbeit im Stall aber hasste sie. Und schöpfte nach dem ersten Schrecken gleich Hoffnung, sie auf jemand anderen abwälzen zu können, als sie Jefe im Stroh entdeckte. Der junge Mann hatte sich gerade erhoben, man sah nur noch an den Decken und dem aus Stroh aufgehäuften »Nest«, wo er geschlafen hatte. Er wusch sich in einem Wasserbottich, wofür er sein edles Hemd und sein Wams ausgezogen hatte. Amali bot er also keinen befremdlichen Anblick. Sie lächelte ihm zu.
»Na, sieh einer an, hat der Herr endlich ’nen neuen Stallknecht angeschafft!«, freute sie sich. »Und uns nichts davon gesagt. Wahrscheinlich hat er dich gestern Nacht noch irgendwo aufgegabelt, nicht?« Victor war bis spät in den Abend hinein bei einem Patienten gewesen, und Amali hatte sich danach nicht mehr sehen lassen – schon damit er gar nicht erst auf die Idee käme, sie könnte sein Pferd abwarten. »Und da wollte er uns nicht stören, um dir ein Quartier anzuweisen«, mutmaßte Amali weiter. »Er ist immer so rücksichtsvoll, unser Doktor. Aber daswirst du noch sehen, der beste Backra – ich meine, Mèz –, den du dir vorstellen kannst, hast echt Glück gehabt. Jetzt zeig ich dir grad, was die Gäule zu fressen kriegen, und dann machst du hier sauber und kommst anschließend frühstücken, ja?« Sie strahlte den Neuen an, der ihr mit jedem Blick besser gefiel, obwohl sich sein Gesicht mürrisch verzog, als sie von Arbeit und vom Backra sprach. »Wir machen dir auch was Gutes. So ’n Mannsbild wie du, das will ja ordentlich gefüttert werden!« Amali kniff ihn sanft in die gewaltigen Muskeln seiner Oberarme. »Wie heißt du denn?«
Jefe wehrte sie ab und sah sie missbilligend an. »Ich werde hier ganz bestimmt nicht den Stall ausmisten«, erklärte er hochmütig. »Ich bin kein Sklave …«
Amali war erst irritiert, dann lachte sie. »Stell dir vor, ich auch nicht! Ich hab einen Freibrief vom Doktor. Du auch schon? Das ging ja mal schnell.« Sie wirkte fast etwas enttäuscht, bisher hatte sie sich immer als etwas Besonderes gefühlt. »Aber das heißt nicht, dass du hier nichts tun musst. Du …«
»Ist der Mann schon wach?«
Sowohl Amali als auch Jefe warfen sich erschrocken herum, als sie Deirdres Stimme vom
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