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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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öffneten ihre Truhen für alle. Einigen der Männer schien die Auswahl der Jacketts und Kniehosen wichtiger zu sein als ein letztes Gebet.
    Jefe und Bonnie beteiligten sich nicht an der makabren Modenschau. Bei Bonnie wunderte das niemanden, sie hatte schließlich nie etwas anderes getragen als Leinenhosen und karierte Hemden. Aber Jefe hatte den Prunk immer geliebt … Sanchez und die anderen versuchten die halbe Nacht lang, ihm wenigstens ein seidenes Jacket oder eine Brokatweste aufzudrängen. Letztere nahm er schließlich, wohl um seine Ruhe zu haben. Bislang hatte er immer noch kein Wort gesagt, er hielt sich auch abseits von den anderen. Bonnie hätte sich am liebsten an ihn geschmiegt, um ihn und sich selbst zu trösten. Doch das ging natürlich nicht. Jefe würde sie abwehren, und es passte auch nicht zu ihrer Rolle. Bonnie fand sich damit ab, als Bobbie zu sterben.
    Der Marktplatz füllte sich mit lachenden und schwatzenden Schaulustigen, als die Sonne über der Stadt aufging. Der verheißungsvolle Duft von Backwerk wehte über den Platz, ein geschäftstüchtiger Bäcker hielt Tartes und Madeleines feil, die reißenden Absatz fanden. Wie Captain Seegall vorausgesagt hatte, herrschte Volksfeststimmung.
    Im Kerker waren die Männer bereit, sich dem Galgen zu stellen. Ein paar murmelten noch Gebete oder Flüche vor sichhin, die anderen warteten einfach auf das Ende. Als der erste Sonnenstrahl durch das Gitter fiel, erhob sich der Kapitän.
    »Männer«, sagte er ruhig. »Die Stunde ist gekommen, um Abschied zu nehmen. Und vielleicht ein paar Worte des Dankes zu sagen. Ihr wart eine gute Mannschaft, ihr habt tapfer gekämpft – wir waren dem endgültigen Triumph so nahe, wie man ihm nur sein kann, doch es sollte nicht sein. Also treten wir nun vor unseren Schöpfer oder sehen den Teufel. Was weiß ich? Viele Männer sind uns auf diesem Weg vorausgegangen, und weiß Gott, wir haben selbst genug in die Hölle geschickt. Es ist nun an uns, ihnen alle Ehre zu machen. Tretet mit hoch erhobenem Haupt vor den Henker, schenkt dem Leben ein Lächeln, bevor ihr in den Tod geht. Wir hatten ein gutes Leben. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bedauere nichts!«
    Die Piraten klopften auf den Boden und äußerten Zustimmung, als sich jetzt auch die Luke öffnete.
    »Die ersten drei raustreten!«, befahl einer der Wächter.
    Der Kapitän machte Anstalten, den Fuß auf die Leiter zu setzen. »Ich gehe voran«, sagte er würdevoll.
    Sanchez schüttelte jedoch den Kopf. »Nichts da, Captain!«, erklärte er. »Es war immer das Vorrecht des Quartiermeisters, als Erster den Fuß auf die Planken des zu enternden Schiffes zu setzen. Das lasse ich mir auch jetzt nicht nehmen. Wer geht mit mir?«
    Bonnie erwartete, dass sich Jefe erheben würde, doch ihr Freund schien die Rede des Captains gar nicht gehört zu haben, er verharrte weiter in seiner Apathie. Statt seiner trat Rivers vor, und der Wächter wies von oben auf den Zimmermann.
    »Du!«, sagte er. »Nichts für ungut, Captain, aber Sie sollen die Aussicht noch ein bisschen genießen. Man wird Sie als Letzten hängen, Befehl vom Gouverneur …«
    Seegall schwieg resigniert, als Sanchez die Leiter hinaufkletterte und von oben zu den anderen hinuntergrinste.
    »Man sieht sich!«, grüßte er frech.
    Über das Gesicht des Captains flog ein Lächeln.
    Die nächste Stunde war die schlimmste in Bonnies bisherigem Leben. Einer nach dem anderen stiegen ihre Freunde, die fast so etwas wie eine Familie für sie geworden waren, hinauf in die Sonne, um dann aufrecht und in ihrer leuchtend bunten Kleidung, in Spangenschuhen, Lederstiefeln oder barfuß das Podest zum Galgen zu erklettern. Die meisten schafften eine Art Grinsen, während ihnen der Henker die Schlinge um den Hals legte, um dann doch ihre Würde zu verlieren, wenn sich das Seil zuzog. Egal, was sie sich vorgenommen hatten, im Todeskampf krampften und zappelten sie, traten um sich und gaben schließlich Urin und Exkremente von sich.
    Als der zehnte der Männer starb, begann Bonnie verzweifelt zu weinen, nur der Gedanke an die Rede des Captains und daran, sich nicht noch im letzten Moment zu verraten, um womöglich den Respekt der Männer zu verlieren, hielt sie davon ab, dies an Jefes Brust zu tun. Irgendwann hoffte sie, endlich selbst an der Reihe zu sein, doch der Blick der Wachen war noch nicht auf sie oder Jefe gefallen.
    Am Ende waren in dem Kerker nur noch drei Menschen übrig – der Kapitän, der sich stoisch

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