Die Insel der roten Mangroven
als die meisten Sklaven, hatte freundliche braune Knopfaugen und einen fein geschnittenen, sinnlichen Mund. Dazu entpuppte er sich als begabter Musiker. Er unterhielt die Männer beim Hausbau, indem er mit volltönender Stimme abwechselnd Choräle und Trinklieder anstimmte – und es schaffte, die Choräle wie die Gassenhauer und die Gassenhauer wichtig klingenzu lassen. Wann immer man ihm Holz in die Hand gab, fand er etwas, worauf und womit er trommeln konnte.
Pierrot und Jefe schauten zunächst etwas missmutig, weil sie befürchteten, dass der Hausbau so langsamer voranging, aber das Gegenteil war der Fall. David gab einen lebhaften Rhythmus vor, und allen ging die Arbeit leichter von der Hand. Schon im Laufe des ersten Abends fanden sich außerdem Mädchen vor ihrer Hütte ein. Verschämt kichernd plauderten sie zunächst mit David, dann auch mit den anderen Männern, und sehr bald boten sie ihre Hilfe an. Küchensklavinnen brachten Früchte vorbei, sicher stibitzt vom Tisch der Aufseher. Drei Mädchen boten sich an, Palmwedel für das Dach der Hütte zu schneiden, zwei ließen sich gleich neben dem Bauplatz nieder und flochten Schlafmatten für die Männer. Am Bauplatz der anderen vier Sklaven war längst nicht so viel los – aber da gab es ja auch keinen David, der die Mädchen bezauberte.
Am nächsten Abend prahlte er vor ihnen mit drei neuen Striemen, die er an seinem zweiten Arbeitstag Oubliers Peitsche verdankte. Alle Neuen waren langsamer als am Tag zuvor gewesen – schließlich hatten sie ja noch die halbe Nacht an ihren Hütten gearbeitet, doch David hatte seinen Einsatz wirklich auf ein Minimum heruntergeschraubt. Die Mädchen feierten ihn jetzt für seinen passiven Widerstand.
»Als ob er wäre der alte Macandal persönlich«, bemerkte Pierrot kopfschüttelnd. David verstand es meisterlich, sich als Freiheitskämpfer darzustellen.
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, wer dieser Macandal ist!«, drängte Jefe, und nun erhielt er eine Antwort.
»Später, in Hütte«, flüsterte Pierrot ihm zu, und als sie dann erschöpft auf ihre Schlafmatten fielen, erzählte er Jefe alles, was er über den Rebellen wusste. Jefe lauschte hingerissen. Zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme fühlte er sich nicht mehr gänzlich alleingelassen und bar jeder Hoffnung, als er schließlicheinschlief. Noch immer in einer Hütte ohne Dach, aber schon zwischen hochgemauerten Wänden. Er musste diesen Macandal finden und sich ihm anschließen! Nur so konnte er sich für all das rächen, was die Weißen ihm und seinem Volk antaten!
KAPITEL 6
V ictor war schockiert über Deirdres Ausbruch gewesen, er brauchte einige Tage, um darüber hinwegzukommen. Vor allem konnte er sich die Sache nicht erklären. Seine junge Frau war völlig außer sich gewesen, schließlich hatte sie sich auf ihn gestürzt und seine Brust mit ihren Fäusten bearbeitet, bevor sie schluchzend zusammengebrochen war. Bonnie hatte Erklärungen gestammelt – und Deirdre endlich eine Entschuldigung. Natürlich hatte Victor Caesar nicht absichtlich auf dem Sklavenmarkt zurückgelassen, bei klarem Verstand hätte sie ihm das nie vorgeworfen. Aber Deirdre war nicht bei klarem Verstand. Victor hatte das schon längst befürchtet, und jetzt konnte er es nicht mehr wegleugnen. Deirdre schien, aus welchen Gründen auch immer, auf dem besten Weg, sich in Schwermut zu verlieren, und Victor wusste nicht, was er dagegen tun sollte.
Die Medizin war gegen solche Zustände machtlos. Allenfalls rieten Ärzte zu Orts- und Luftveränderungen, die manchmal Wunder wirken sollten. Victor dachte ernstlich darüber nach, mit Deirdre nach England zu reisen – aber gerade jetzt war er beruflich so stark in Anspruch genommen, dass er sich unmöglich für mehrere Monate freinehmen konnte. Dabei hätte er Saint-Domingue ganz gern mal wieder den Rücken gekehrt. Die Praxis florierte, was erfreulich war, andere Pflichten belasteten ihn dagegen sehr. Erneut war es zu Giftanschlägen gekommen – Macandals Schergen rückten wieder näher heran an Nouveau Brissac. Die letzte Plantage, deren Besitzer man ausgelöschthatte, lag gerade mal einen Dreistundenritt von der Pflanzung der Dufresnes entfernt, die Haussklaven hatten ihre Herren angeblich am Morgen tot in ihren Betten gefunden. Das kam in der letzten Zeit häufiger vor – die Pflanzer wurden Opfer ihrer eigenen Vorsichtsmaßnahmen. Viele ließen ihre Diener inzwischen nicht mehr im Haus nächtigen und starben, wenn es
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