Die Insel der roten Mangroven
und da er gerade dabei war, schrieb er auch über Deirdres Schwermut.
» Ich weiß nicht, was ich falsch mache oder falsch gemacht habe, aber Deirdre ist nicht mehr so offen, lebhaft und glücklich wie zuvor. Vielleicht ist das darauf zurückzuführen, dass wir immer noch kein Kind haben, obwohl wir es uns sehnlichst wünschen. Gegenüber den Kindern der Dienerinnen verhält Deirdre sich jedoch aufgeschlossen und liebevoll wie immer – was ungewöhnlich ist für eine Frau, die aufgrund von Kinderlosigkeit schwermütig wird. Meinen Beobachtungen zufolge mögen die oft keine Säuglinge von anderen Frauen um sich haben … Victor klingt wirklich besorgt.«
Nora legte den Brief ihres Schwiegersohnes, den sie Doug eben vorgelesen hatte, beiseite und ließ den Blick über ihren Garten schweifen. Der Blaue Mahoe warf lange Schatten, und die Orchideen erstrahlten jetzt, da es auf Sonnenuntergang zuging, in voller Schönheit. Ihre Blüten hatten sich am Morgen der Sonne geöffnet und schienen nun noch das letzte Licht spiegeln zu wollen.
»Und ich muss sagen, ich habe mir auch schon Gedanken gemacht …«
»Ja?«, wunderte sich Doug. »Davon hast du bisher nie etwas gesagt.«
Er selbst fand Victors Besorgnis zwar rührend, sah es jedoch als sehr viel alarmierender an, dass sich seine Tochter im Wirkungsbereich eines Giftmörders befand, als dass sie gelegentlich schlecht gelaunt war.
»Weil ich mich und dich nicht verrückt machen wollte«, erklärte Nora. »Es war ja auch nur so ein Gefühl … Deirdre hat sich über nichts beklagt in ihren Briefen, aber ihr Schreibstil hat sich geändert. Früher pflegte sie alles so lebhaft zu schildern – meine Güte, man sah den alten Dufresne doch geradezu vor sich mit seiner pompösen Perücke und seinen Einladungen im Stil des Sonnenkönigs! Und die eingebildeten Nachbarn, die Damen der Kirchengemeinde … Himmel, Doug, aus der Geschichte von dieser Sklavin, die unter die Piraten geraten ist, hätte die alteDeirdre einen halben Roman gemacht! Jetzt beschränkt sie sich auf Floskeln: ›Wie geht es euch? Mir geht es gut.‹ Und spröde, kurze Berichte. Es ist, als wäre ihr das Briefeschreiben lediglich eine lästige Pflicht.«
Doug überflog noch einmal Victors Brief. »Victor zufolge scheint sie alles nur noch als eine lästige Pflicht zu betrachten«, bemerkte er nachdenklich.
Nora nickte. »Genau. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Und diese Sache mit dem Gift …«
»Kannst du Victor da weiterhelfen?«, fragte Doug.
Nora zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Ich kenne natürlich ein paar Pflanzen und Pflanzenbestandteile, die in kleinen Mengen eine heilende Wirkung haben, in großen Mengen jedoch zum Tod führen können. Man muss sie vorsichtig dosieren. Und vielleicht … vielleicht käme ich auch an die Mambos heran …«
»Mambos?« Doug spielte mit einer Cascarilla-Blüte.
»So nennt man auf Hispaniola die Obeah-Frauen«, sagte Nora, »Voodoo-Priesterinnen. Viele von ihnen sind auch heilkundig – wenn man es so nennen will. Den schwarzen Frauen auf den Plantagen geht es ja hauptsächlich darum, Kindersegen zu verhindern.«
Auf Jamaika galt das als großes Problem. Die schwarzen Frauen, hauptsächlich Ashanti, gingen jedes Risiko ein, um keine Kinder in die Sklaverei zu gebären. Abtreibungen waren an der Tagesordnung, und da sie natürlich heimlich stattfanden, die Baarm Madda nicht immer gut geschult war und die Frauen hinterher keinerlei Schonung erfuhren, waren sie die Ursache für viele Todesfälle unter jungen Schwarzen. Deirdre hatte Nora allerdings geschrieben, dass es auf den Plantagen in Hispaniola mehr Kinder gab. Sie führte das auf die katholische Erziehung der Sklaven zurück, die Abtreibung ächtete, und darauf, dass die Schwarzen kirchlich heiraten durften.
»Mit dir würden die Frauen jedenfalls eher reden als mit Victor.« Doug lächelte schelmisch. »Wenn du erst mal da wärest … Irre ich mich, oder läuft die ganze Überlegung darauf hinaus? Und dass wir dabei Deirdre wiedersehen würden, wäre nur eine nette Dreingabe?«
Nora schaute ihren Mann besorgt an, aber ihre Augen leuchteten auf. »Du meinst, wir sollten wirklich fahren?«, fragte sie. »Hier alles stehen und liegen lassen …«
Doug nickte. »Das hatten wir uns doch sowieso einmal vorgenommen. Und wann, wenn nicht jetzt? Auf der Plantage läuft es auch ohne uns, Kwadwo und Adwea kümmern sich um alles, und die Jungen sind ja sowieso in der Schule …« Der
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