Die Insel der roten Mangroven
ihr nicht zu wissen. Ihr schließt euch uns einfach an, nachdem sich jeder einzeln aus dem Quartier geschlichen hat. Treffen ist die Gabelung des Weges zwischen Sklavenquartier und Haus. Wenn der Mond hoch am Himmel steht …« Damon stand auf.
»Und was ist da in dem Schuppen?«, wollte Jefe wissen.
Er war neugierig, nachdem er gesehen hatte, wie erregt Pierrot wirkte. Aber bevor er sich den anderen anschloss, wollte er mehr wissen. Für irgendeinen Zauber würde er das Risiko nicht eingehen. Er hatte keine Lust, sich unerlaubt für nur eine Nacht von der Plantage zu entfernen. Wenn er ging, dann würde er für immer gehen. Zu den Rebellen in die Berge.
» Er spricht«, antwortete Damon.
Pierrot vollführte eine Geste, als wollte er sich bekreuzigen.
»Wer spricht?«, fragte Jefe hart.
Damon sah ihm in die Augen. Dann zischte er: »Macandal.«
Jefe und Pierrot beschlossen, sich nahe der Höhle des Löwen hinauszuschleichen, sie entschieden sich für die Passage zwischen Oubliers Haus und dem des Unteraufsehers Lebois. Hier gab es Buschwerk. Lebois lebte mehr oder weniger heimlich mit einer der Sklavinnen zusammen, die an seinem Haus einen Garten angelegt und wie in ihrer Heimat üblich mit einer Hecke aus stacheligen Pflanzen begrenzt hatte. Das Gestrüpp bot wenig Tarnung, aber doch ein bisschen mehr als das kahl gerodete Land zwischen den anderen Aufseherhäusern. Allerdings war das Risiko in dieser Nacht ohnehin gering. Damon hatte gesagt, dass die Aufseher gemeinsam feierten, und tatsächlich hatten sie ein Feuer vor einem ihrer Häuser entzündet, wo sie Fleischgrillten und tranken – bis der erste der nächtlichen Regengüsse sie zwang, sich auf die überdachte Veranda zurückzuziehen. Unwahrscheinlich, dass bei diesem Wetter jemand um die Häuser patrouillierte, obwohl Oublier grundsätzlich jede Vorsichtsmaßnahme zuzutrauen war.
Tatsächlich ging alles gut, und die zwölf Verschwörer von Roche aux Brumes fanden sich nass bis auf die Haut am vereinbarten Treffpunkt etwas außerhalb der Siedlung ein. Der Mond war nicht zu sehen, der Himmel hing voller Wolken, doch alle hatten den Zeitpunkt richtig geschätzt. Jefe stellte erstaunt fest, dass es sich bei den »Auserwählten« nicht nur um Männer handelte. Auch eine der weiblichen Feldarbeiterinnen war vertreten sowie eine andere junge Frau, die er nur flüchtig kannte. Clarisse arbeitete im Haus und war wohl ebenso wie Jefe und Pierrot zum ersten Mal dabei.
»War vorher auf Nachbarplantage«, erklärte Pierrot, der offensichtlich entzückt davon war, sie hier zu treffen. Er hatte seit einiger Zeit ein Auge auf sie geworfen. »Hat mitgebracht neue Mèz …«
Er wollte noch mehr erzählen, aber Damon legte den Finger auf den Mund. Noch waren sie dem Sklavenquartier nahe und es bestand Gefahr, einer Patrouille in die Arme zu laufen.
Damon führte seine Leute im Schatten der baumhohen Kaffeepflanzen weiter. Nach einer Weile erreichten sie einen Schuppen, der ursprünglich wohl der Trocknung und Lagerung von Kaffeebohnen gedient hatte oder noch diente, zurzeit war er allerdings leer. Er lag mitten in den Feldern und weit weg von den Sklavenquartieren beider Plantagen. Die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung war sehr gering. Man hätte hier auch Obeah-Zeremonien feiern können, doch der Schuppen war zu klein, um eine ganze Gemeinde zu fassen. Dennoch hing ein Geruch von Kräutern und Zuckerrohrschnaps in der Luft, der Pierrot verdächtig schien.
»Voodoo?«, fragte er Damon.
Der Bokor nickte lächelnd. »Wir opfern nur selten und nicht in großen Gruppen«, erklärte er dann bedauernd, »das würde auffallen. Wenn jedoch jemand ein Anliegen hat …«
»… und ein Huhn bringt …«
So weit erinnerte sich sogar Jefe an die Gepflogenheiten bei Obeah-Zeremonien. Er erinnerte sich dunkel, dass seine Mutter eine Henne dabeigehabt hatte, als sie seinem Vater nach Grand Cayman gefolgt war. Das Tier hatte jahrelang gut gefüttert in ihrem Hinterhof gelebt – immer für den Fall, noch einmal als Opfer gebraucht zu werden. Aber Máanu hatte den Glauben an die Geister damals wohl irgendwann verloren.
Damon nickte wieder. »… dann versammeln wir uns hier im kleinen Kreis«, gab er Auskunft. »Ah, seht, da sind die anderen!« Er wies auf eine weitere Gruppe Sklaven, die sich von Süden her näherte, ebenfalls ohne Fackeln und im Schatten der Kaffeepflanzen.
»Und wo ist Macandal?«, fragte Jefe.
Eine entsetzte Handbewegung Damons gebot ihm
Weitere Kostenlose Bücher