Die Insel der roten Mangroven
Schweigen. Offenbar sprach man den Namen des Rebellenführers nicht aus.
Doch dann erschien wie aus dem Nichts ein kleiner drahtiger, mit einer Machete bewaffneter Mann. Er war kein Schwarzer, zumindest kein reinblütiger. Seine Gesichtszüge, sofern man sie erkennen konnte, wirkten kantig und exotisch.
»Losung?«, wisperte er.
»›Der Geist von Hispaniola‹«, antwortete Damon. »Wir sind zwölf.«
Der Mann nickte. »Dann geht hinein. Möge der Geist euch erleuchten.«
Auf der anderen Seite der Hütte schien ein zweiter Wächter die Prozedur mit den Ankömmlingen von der Nachbarplantage durchzuführen. Schließlich schlüpften sie einer nach demanderen in den Schuppen. Zur Gruppe der anderen Plantage gehörten vierzehn Leute, elf Männer und drei Frauen. Und im Inneren der Hütte befanden sich bereits fünf Menschen. Zwei junge Frauen knieten vor einem Mann, der ganz hinten in der Hütte im Schneidersitz auf dem Boden hockte. Hinter ihm, an der Wand, lehnten zwei weitere Männer mit Musketen. Sie trugen die gebräuchliche Kleidung der Schwarzen und Mulatten auf den Inseln – weite, helle Leinenhosen, auf Hemden hatten sie verzichtet. Im Schein der beiden Laternen, die rechts und links des sitzenden Mannes aufgestellt waren, schimmerte ihre Haut rötlich braun. Auch sie also Mulatten oder Menschen mit einer ähnlichen Abstammung wie der Wächter draußen, den Jefe nicht einschätzen konnte.
»Indianer«, flüsterte Damon, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Maroons …«
Jefe konzentrierte sich jetzt jedoch auf den sitzenden, vielleicht mittelgroßen, hageren Mann, der ein besticktes, afrikanisch anmutendes Gewand trug, eine Art Kaftan. Er schien ganz in sich versunken, es war, als bemerke er die Menschen gar nicht, die in die Hütte strömten und sich ihre Plätze suchten. Wenn überhaupt, so schien er nur die beiden jungen Frauen wahrzunehmen, die ihn offensichtlich anbeteten. Ihnen lächelte er gelegentlich beiläufig zu, bevor er den Blick wieder auf den Boden richtete.
»Das ist er?«, raunte Jefe verwundert Pierrot zu.
Sein Freund zuckte die Schultern. Wahrscheinlich hatte auch er sich François Macandal beeindruckender vorgestellt. Jefe bemerkte erst jetzt, dass er einen Armstumpf im langen Ärmel seines Kaftans verbarg. Wenn das der Revolutionsführer sein sollte, der Geist und die Hoffnung von Hispaniola … Wie sollte ein Einarmiger seine Armee in den Kampf führen?
Dann trat endlich Stille ein in der Hütte, und auf einmal regte sich der Mann. Er hob den Kopf und fixierte die Anwesenden, schon sein Blick genügte, sie alle in seinen Bann zu ziehen. François Macandal hatte tiefdunkle Augen, in denen ab und zu helle Funken aufsprühten. Seine Augen loderten vor Lebendigkeit – und vor Hass.
»Wollt ihr die Freiheit?«, fragte er ruhig.
Die Sklaven waren zu verblüfft, um zu antworten.
Macandal straffte sich. »Ja, richtig, es ist gut, dass ihr darüber nachdenkt«, sagte er dann, »denn der Kampf um die Freiheit kann euch das Leben kosten. Sie kostet euch die Behaglichkeit eurer sicheren Quartiere, die Anerkennung eurer Herren, die doch mancher von euch sucht. Oder irre ich mich da?«
Er blickte um sich und lächelte, als sich ein paar Blicke senkten. »Die Haussklaven unter uns«, bemerkte er, »die treuen Diener … ›Unsere Köchin ist wie ein Familienmitglied‹ …« Die letzten Worte säuselte er im Tonfall einer Pflanzergattin, und seine Zuhörer lachten.
»Aber ein Familienmitglied, dessen man sich kalt lächelnd entledigt, wenn einem irgendetwas nicht passt!«, donnerte Macandal. Dann stand er auf. »Hört endlich auf, euch einlullen zu lassen von euren Mèz, die nichts als Blutsauger sind! Es gibt nichts, was sie besser können als ihr. Sie sind weder klüger noch stärker, sie haben nur die Macht auf ihrer Seite. Solange wir sie ihnen lassen! Und sie tun alles, um sie zu bewahren. Denkt nur an die Pfaffen, die euch weismachen wollen, eure Stellung sei gottgewollt! Und als brave Christen habt ihr zu dienen auf dem Platz, auf den Gott euch gestellt hat. All das ist Unsinn und übelste Lästerung dazu. Denn nicht Gott hat euch zu Sklaven gemacht! Er hat alle gleich geschaffen – und er wird die strafen, die seine Schöpfung mit Füßen treten. Es hat seine Zeit gedauert, meine Freunde, denn Gott ist langmütig. Aber jetzt, jetzt hat er den Frevlern seine Geißel geschickt …«
»Den Schwarzen Messias!«, intonierten die Frauen zu den Füßen Macandals und die
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