Die Insel der roten Mangroven
Panik überziehen. Bis sie fliehen, mein alter Freund. Bis sie uns anflehen, fliehen zu dürfen …« Die Zuhörer jubelten. Macandal war jedoch noch nicht fertig mit Damon. Er trat, jetzt wieder mit blitzenden Augen, nahe an den alten Mann heran. »Und wenn du es nicht erlebst, mein Freund, dann musst du wiederkommen!« Macandals Stimme klang wie ein Zischen. »Du musst all deinen Willen, all deine Kraft und all deinen Hass in den Wunsch legen zurückzukehren. Komm als Schlange, die deine Peiniger erwürgt! Komm als Wolf, der sie zerreißt! Komm als Elefant, der sie zertritt! Komm als Kain, der Abel dahinmeuchelt! In welcher Gestalt du auch immer kommst, töte! Wir schaffen es jetzt, oder wir schaffen es später. Wir fegen die Weißen hinweg von Hispaniola!«
Damon wirkte wie betäubt, aber die anderen Zuhörer klatschten und schrien. Sie huldigten Macandal wie einem Priester oder einem Gott. Jefe sah, wie die kleine Frau und auch Pierrots Schwarm aus dem Herrenhaus von Roche aux Brumes ihm die Hände küssten. Letztere zog er zu sich hoch und küsste sie auf den Mund. Damon verlor später kein Wort darüber, dass sie sich ihrem Zug nicht anschloss, sondern verschwand. Jefe und Pierrot sollten sie erst am nächsten Morgen beim Appellwiedersehen, strahlend, die schwarze Haut wie von innen heraus glühend.
Aber auch Jefe war wie entflammt, als das Treffen schließlich endete.
»Das ist es also, das ist der Plan! Wir werden den Weißen das Land hier vergällen. Wir werden ihnen so viel Angst machen, dass sie von allein verschwinden. Das ist genial, Pierrot! Das erfordert gar keinen großen Aufstand, gar keinen Krieg. Wir treiben sie einfach zum Wahnsinn, bis … ja, bis die feisten Kerle sich nicht mehr aus ihren Häusern wagen, ihr Essen nicht mehr anrühren … bis ihre kleinen Frauchen sie anflehen, sie wegzubringen …« Er sprang in irrer Vorfreude neben seinen Freunden her.
Pierrot wirkte dagegen eher ernüchtert. Er war zunächst schweigend und offenbar verdrießlich ob des Abgangs seiner Angebeteten mit Macandal neben Jefe hergegangen. Jetzt schaute er skeptisch zu ihm hinüber.
»Du schon mal gesehen Angst in Augen von Oublier? Und von seine Freunde?«, fragte er dann mit einem Schnauben. »Der bleiben, und andere auch. Nein, Caesar, da wir brauchen mehr als ›Messias‹, damit Weiße uns lassen die Land! Da wir brauchen richtig Aufstand mit Heer und viel Waffen. Und Schwarze, die schwingen Machete, nicht mischen ein bisschen Gift und warten, dass Mèz gehen von selbst.«
»Aber es wird ihnen doch gar nichts anderes übrig bleiben!«, frohlockte Jefe. »Wenn die Plantagen erst brennen, wenn wir den Satan beschwören, wenn …«
Pierrot zuckte die Achseln. »Werden wir sehen, wer brennt«, murmelte er resigniert.
KAPITEL 9
I ch möchte wetten, dass Monsieur Dufresne das nicht billigt«, bemerkte Nora, als Victor und seine Gäste endlich zum ersten Besuch auf Nouveau Brissac aufbrachen. In Ermangelung ausreichenden Platzes in der Kutsche ließen sie alle Diener im Stadthaus zurück. Victor lenkte den Wagen selbst, und Deirdre ritt ihre Alegría nebenher. Ihr gefiel dieses Arrangement, sie wirkte lebhaft und freute sich erkennbar auf den Ritt. Nora und Doug sowie ihr Gepäck hatten so gerade genug Platz in der Kutsche. »Es sieht ein bisschen aus, als ob Zigeuner reisen würden«, meinte Nora. »Hätten wir nicht eine Kutsche mieten können und diesen Wagen hier nur fürs Gepäck nutzen?«
Doug zuckte die Achseln. »Hätten wir. Aber du weißt genau, dass Victor darauf bestanden hätte, es zu bezahlen. Und so viel verdient er auch wieder nicht. Dieses neue Kleid für Deirdre kostet ein Vermögen, und da reden wir noch gar nicht über ihre Weihnachtsgarderobe. Das Fest wird über drei Tage gehen, wenn ich es richtig verstanden habe, und garantiert braucht sie für jede Ballnacht ein aufwendiges Kleid«, sagte er leise.
Doug hatte schnell bemerkt, dass mit Victors Praxis in Cap-Français kein Vermögen zu machen war. Natürlich gab es einige betuchte Patienten, aber einen großen Teil seiner Zeit verbrachte Victor in seinem Labor oder mit der Behandlung der ärmeren Bevölkerungsschichten. Die zahlten wenig – und oft nur in Naturalien. Sie brachten Früchte, Fische oder auch mal ein Huhn vorbei, was den Speiseplan im Haus der jungen Dufresnes frisch und abwechslungsreich machte, doch das Bankkonto des Arztes füllte es nicht. Doug wusste sehr gut, was es kostete, in reichen Häusern wie dem des
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