Die Insel der roten Mangroven
Nase zu ziehen.
»Na, gut, Deirdre«, erwiderte Nora. »Lassen wir satteln. Sie reiten nicht, Madame Dufresne?«
Yvette erging sich noch einige Zeit in den Gefahren des Reitens während der Schwangerschaft und dem Klima im Osten von Saint-Domingue, das ohnehin jegliche Bewegung an frischer Luft zu einem unkalkulierbaren Risiko werden ließ. Deirdre und Nora lauschten höflich, während ihre Pferde gesattelt wurden.
»Wo sind denn eigentlich Daddy und Victor?«, fragte Deirdre, als sie endlich vom Hof ritten.
Nora zuckte die Achseln. »Ich glaube, Victor läuft mal wieder Sturm gegen diesen Mèz Oublier, es gab da heute Morgen Unstimmigkeiten zwischen ihm und den Aufsehern im Sklavenquartier. Sie wollten partout keine Krankschreibungen akzeptieren. Jetzt diskutieren sie das aus, Victor, Gérôme und Oublier, und Doug hat sich als eine Art Schlichter angeschlossen.«
Deirdre musste lachen. »Daddy als Schlichter in Sklavenangelegenheiten? Na, wenn da nicht anschließend die Plantage brennt … Los, trab an, dann haben wir die Pferde warm, bis nachher die guten Wege kommen.«
Nora ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie ritt nach wie vor gern schnell, als Mädchen war sie Jagden geritten. Ihr Vollblut Aurora war mit ihr nach Jamaika gekommen, die Stute hatte ihr Feuer an ihre Kinder und Kindeskinder vererbt. Zu ihnen gehörte auch Alegría, die allerdings mehr im Typ des Arabers stand. Sie war nicht größer als die Paso-Stute Cava, die Nora jetzt ritt, und die sie für schneller hielt, als man es ihr ansah. So gesehen waren die Chancen also ausgeglichen.
Mutter und Tochter kamen auf verschlungenen Pfaden am Sklavenquartier vorbei in die Kaffeeplantagen hinein. Schon hier waren die Wege breit angelegt und gepflegt, ein rascher Galopp war dennoch nicht ratsam. Hinter jeder Biegung konnte man auf einen Erntewagen oder einen Trupp Pflückerinnen treffen. Auf der Kaffeepflanzung herrschte reger Betrieb. Die Frauen beschränkten sich also auf mittlere Gangarten und grüßten freundlich nach rechts und links, wenn sie an den Arbeiterinnen und ihren Aufsehern vorbeikamen. Nora schaute genau hin, entdeckte zu ihrer Beruhigung jedoch keine der Frauen auf den Feldern, die sie gemeinsam mit Victor als arbeitsunfähig ausgesondert hatte. Zumindest vorläufig setzte der Arzt sich also durch.
Und dann wichen die unvertrauten Buschreihen der Kaffeepflanzung Feldern, deren Anblick Nora nur zu bekannt war. Alegría und Cava erreichten die Zuckerrohrplantage.
»Hier können wir angaloppieren!«, erklärte Deirdre vergnügt. »Wenn ich mich recht erinnere, geht dieser Weg geradewegs durchs Zuckerrohr bis zum Bauplatz der neuen Wirtschaftsgebäude. Da stand noch nicht viel, als ich zum letzten Mal hier war. Wir sollten trotzdem am Ende ein bisschen aufpassen. Jedenfalls ist der Bauplatz das Ziel!«
Nora lächelte. »Und der Start ist hier?«, vergewisserte sie sich, aber Deirdre ließ ihrer Stute schon die Zügel schießen.
»Das gilt nicht!«, rief Nora ihr lachend nach und setzte dann schnell Cava in Galopp.
Zu ihrem Bedauern erfüllte die kleine Stute ihre Hoffnungen nicht. Cava war nicht für Rennen gezüchtet. Die Pasos hatten zwar Feuer, aber wenn sie sich anstrengten, wurde ihre Galoppade eher höher als schneller. Nora genoss den bequemsten Galopp ihres Lebens – ohne auch nur die kleinste Chance, das Rennen zu gewinnen.
Deirdre dagegen fühlte Alegría unter sich fliegen. Soweit esim Damensattel ging, stellte sie sich in den Bügel und machte sich leicht, um alles aus ihrem Pferd herauszuholen. Alegrías Hufe trommelten auf den griffigen Boden, und Deirdre fühlte sich eins werden mit dem gleißenden Sonnenlicht und dem milchigblauen Himmel. Nur das Liebesspiel mit Caesar hatte sie vergleichbar glücklich gemacht, doch sie war fest entschlossen, daran nie wieder zu denken.
Der breite Weg war sicher eine halbe Meile lang, aber Alegrías lange Galoppsprünge ließen die Entfernung rasch schrumpfen. Deirdre erreichte den Bauplatz sehr viel früher, als sie erwartet hatte, und sie war schon an den ersten drei Gebäuden vorbei, bevor es ihr gelang, die Stute zu zügeln.
Es war schließlich ein kompaktes Blockhaus, halb fertig, vor dem Deirdre das Pferd zum Stehen brachte, schwer atmend, rot im Gesicht von der Anstrengung und strahlend vor Glück. Ihre Mutter war zweifellos weit abgeschlagen! Dieses Rennen hatte sie gewonnen.
Aber dann trat ein Arbeiter aus dem Blockhaus, wohl angelockt durch die Hufschläge – und
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