Die Insel der roten Mangroven
verletzt, und die Familie nahm den Fortnams bis heute übel, dass Doug Alima nicht ausgeliefert, sondern ihr zu einer Flucht in die Blue Mountains verholfen hatte. Nun lebten die Hollisters ja längst ganzjährig in Kingston, und mit Lord Warrington pflegte Doug eine weitgehend problemlose nachbarschaftliche Beziehung. Seine Frau hatte jedoch nach wie vor Vorbehalte, auch und gerade gegen Nora. Sie hatte sich seinerzeit selbst Hoffnungen auf eine Heirat mit Doug Fortnam gemacht.
Nun näherte sich auch schon wieder Nafia. Die kleine Schwarze war durch den Garten ins Küchenhaus gelaufen, eine deutliche Abkürzung. Allerdings hatte sie dort nicht Mama Adwe angetroffen, sondern nur eine der jüngeren Küchenhilfen. Die wusste glücklicherweise, wo der Sud gegen Sodbrennen stand. Das war schließlich ein häufiges Leiden, das Schwangere aller Hautfarben und vor allem eng geschnürte weiße Ladysbetraf – meist nach dem Essen. Adwea hielt ihre Medizin immer für Gäste bereit.
Die junge Köchin hatte einen Schluck davon in ein gefällig wirkendes Sherryglas gefüllt und Nafia angewiesen, vorsichtig damit umzugehen. Außerdem hatte sie kochendes Wasser in eine kleine Porzellankanne gegeben. Beides balancierte das Mädchen auf einem Tablett Richtung Garten, voller Eifer und so schnell wie möglich. Hochkonzentriert auf Glas und Kanne übersah es dabei allerdings den Palmwedel, den es eben hatte fallen lassen – und stolperte, als es sich Lady Warrington elegant wie eine gelernte Kellnerin nähern wollte.
Nora versuchte noch, Nafia oder wenigstens das Geschirr aufzufangen, aber es war zu spät. Die Kleine stürzte, das Sherryglas ging zu Bruch – und das fast noch kochendheiße Wasser ergoss sich über Nafias Ausschnitt und spritzte auf Lady Warringtons Arm.
Die Lady schrie sofort wie am Spieß – während Nafia eine Schrecksekunde brauchte, bevor sie sich des Schmerzes bewusst wurde. Dann stieß auch sie schrille Schreie aus. Die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft richtete sich gleich auf den Tisch im Garten.
Deirdre, die eben mit einem ihrer Kavaliere die Tanzfläche verlassen hatte und in den Garten trat, um sich abzukühlen, sah Nafia am Boden liegen und eilte zu ihr. Das kleine Mädchen war Amalis jüngste Schwester und Deirdres und Amalis Liebling. Die beiden Mädchen hatten sie als Baby herumgeschleppt und mit ihr gespielt wie mit einer Puppe. Jetzt hockte sich Deirdre, ohne groß auf ihr weißes Kleid zu achten, auf den Boden und nahm das Kind in den Arm.
»Was ist denn nur passiert, Nafi? Ach du lieber Himmel, sie hat sich verbrüht! Wie konnte das bloß passieren? Ich brauche ein nasses Tuch! Schnell! Wer schickt denn ein so kleines Mädchen, heißes Wasser zu holen?«
Das hätte auch Nora interessiert, die rasch eine Stoffserviette vom Tisch nahm, sie in einen Krug mit kaltem Wasser tauchte und ihrer Tochter reichte. Dann beugte sie sich pflichtschuldig über Lady Warringtons Arm.
»Das hat sie absichtlich gemacht!«, kreischte Lady Lucille. »Das geht gegen uns! Ihre Nigger haben sich alle gegen uns verschworen! Würde mich nicht wundern, wenn …«
Nora konnte keine Rötung erkennen, sie hätte sich viel lieber um die zweifellos schwerer verbrühte Nafia gekümmert. Aber während sie noch nach Worten suchte, um die Lady zu beruhigen, drängte sich schon ein junger Mann durch die Menge der Schaulustigen.
»Lassen Sie mich mal sehen. Ich bin Arzt.«
Deirdre, die das feuchte Tuch fassungslos auf die sich bildenden Brandblasen im Ausschnitt der schreienden Nafia legte, sah verwundert auf. Und blickte in ein besorgtes ovales Gesicht, umspielt von ein paar dunklen Locken, die sich aus einer schlichten Frisur gelöst hatten. Das lange Haar des Mannes war ungepudert, er hatte es nur glatt nach hinten gebürstet und nicht geflochten, sondern in einer Bourse, einem schwarzen Taftbeutel, verborgen. Erstaunlich uneitel, konstatierte Deirdre. Vor einem Ball betrieben die meisten Herren mehr Aufwand. Auf der Stirn des jungen Mannes zeigten sich jetzt, da er sich konzentriert über Nafia beugte, kleine Fältchen. Er kniff die Augen ein wenig zusammen – ernste dunkle Augen, ihre Farbe konnte Deirdre im schwachen Licht der Laternen nicht erkennen. Aber er hatte kräftige dunkle Brauen, eine gerade Nase und volle, klar geschwungene Lippen. Ein gut aussehender Mann, dessen dunkle, ruhige Stimme Deirdre allerdings Rätsel aufgab, als er Nafia jetzt ansprach. Sein Englisch war fließend, sie vernahm
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