Die Insel der roten Mangroven
Deirdres Verspätung aus. Wie immer war alles, was aus der Küche kam, deliziös.
Die meisten der Frauen konnten das gute Essen jedoch kaum würdigen. Ein Korsett schnürte den Magen erbarmungslos ein, es erlaubte einem, nur winzigste Portionen zu essen, egal wie hungrig man vor dem Schnüren vielleicht gewesen war. Nora fragte sich, wie manche der Damen – allen voran Lady Warrington, deren Gatte Deirdre mit den Augen zu verschlingen schien – es schafften, sich trotzdem rundliche Formen anzuessen. Aber Miss Lucille hatte immer zu einer gewissen Üppigkeit geneigt.
Deirdre saß in der Mitte der Tafel – und bemühte sich nach Kräften, ihren Tischherrn, einen Sekretär des Gouverneurs, angeregt zu unterhalten. Sie hatte mit dem älteren Herrn zwar nichts gemein, doch sie wusste, dass er wichtig war. Doug hatte auch den Gouverneur selbst eingeladen, hingegen nicht wirklich mit seinem Kommen gerechnet. Admiral Charles Knowles war von seinem Vorgänger Edward Trelawny sicher in die Familienverhältnisse der Fortnams eingeweiht worden. Zweifellos schätzte er Doug Fortnams Verdienste um Jamaika – vor allem an der Befriedung aufständischer freier Schwarzer, den sogenannten Maroons, hatte der Advokat großen Anteil –, doch so weit, dass er das Debüt von dessen Bastardtochter adelte, würde der Gouverneur doch nicht gehen. Immerhin schickte er mit Lord Bowden einen hochrangigen Vertreter, den Deirdre jetzt weisungsgemäß umgarnte. Lord Bowdens eigene Tochter würde im nächsten Monat debütieren, und Nora hoffte auf eine Gegeneinladung.
Schließlich endete das Bankett, indem Adwea und ihre Helfer eine gewaltige Geburtstagstorte mit achtzehn Kerzen auftrugen. Deidre musste aufstehen und um den Tisch herumgehen, um sie auszupusten und die Torte anzuschneiden. Die Gäste applaudierten begeistert.
Nora nickte ihrer Tochter zufrieden zu. Zweifellos hatte sie jetzt auch der letzte der anwesenden jungen Männer bemerkt, und die Hälfte war wahrscheinlich schon verliebt. Beim anschließenden Tanz würden sich alle um sie reißen.
Während die Musiker noch einmal ihre Instrumente stimmten – bislang hatten sie die Gesellschaft nur im Hintergrund mit leiser Tafelmusik unterhalten –, öffneten die Diener der Fortnams die Türen zum Garten, in dem die Lampions bereits entzündet worden waren. Die Kulisse der bunt angestrahlten Mimosenbäume, Cascarillas und Mahoes war märchenhaft, und die Gäste reagierten mit anerkennenden Ausrufen, bevor sienach draußen strömten. Jetzt, am Abend, konnte man hier vielleicht auf eine frische Brise hoffen.
Auf der Tanzfläche wurden zunächst einstudierte Menuette gezeigt – zum Entzücken aller Anwesenden führten Dougs und Noras jüngere Söhne, der vierzehnjährige Thomas und der zwölfjährige Robert, ihre schöne Schwester durch einen komplizierten Schritttanz. Danach folgten andere Paare, in der Regel ebenfalls Geschwister. Die meisten Plantagen lagen zu weit entfernt von der nächsten Stadt, als dass die Kinder verschiedener Familien gemeinsam im Tanz oder auch in anderen Künsten und Wissenschaften unterrichtet werden konnten. Nur die jungen Leute, die direkt in oder sehr nah bei Kingston oder Spanish Town lebten, besuchten Schulen, die Musik- und Tanzunterricht anboten. Dann bildeten die Tanzmeister auch schon mal aus nicht miteinander verwandten Jungen und Mädchen eine Gruppe – worüber im Publikum natürlich gleich geklatscht wurde. Hatten die Eltern das vielleicht forciert? Kündigte sich hier eine Verlobung an?
Schließlich verkündete der Zeremonienmeister den Beginn des offenen Tanzes – sehnsüchtig erwartet von den jungen Leuten. Die Älteren nahmen an den Tischen, die im Saal und im Garten aufgestellt waren, Platz. Diener servierten Kaffee und Schokolade für die Damen und Rumpunsch für die Herren. Viele der männlichen Gäste hatten sich allerdings längst mit ihren Zigarren in Dougs Herrenzimmer zurückgezogen. Sie redeten lieber über Geschäfte und Politik, als den jungen Leuten beim Tanz zuzusehen oder Heiratspläne zu schmieden und wieder zu verwerfen. Dies war eher eine Beschäftigung der Damen in den Kolonien, die sonst wenig zu tun fanden.
Hinter den Stühlen an den Gartentischen standen Sklavenkinder, die den Gästen mit Palmwedeln Luft zufächelten. Es war das ganze Jahr über warm auf Jamaika, und viele der aus England eingewanderten Pflanzer gewöhnten sich ihr Leben lang nicht an die Hitze und an die hohe Luftfeuchtigkeit. Besonders
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