Die Insel der roten Mangroven
die Damen in ihren Korsetts pflegten darüber zu klagen.
Lady Warrington – immer noch übel gelaunt und nach dem Bankett zudem geplagt von Völlegefühl – folgte den Vorführungen der Tänzer nur unwillig und fast ein bisschen missgünstig. Sie selbst hatte als junge Frau niemals vortanzen dürfen. Man hatte ihr stets die zierlicheren, geschmeidigeren Mädchen vorgezogen. Und auch die Kavaliere hatten sich nicht so um sie gerissen, wie die jungen Männer es jetzt, da der allgemeine Tanz eröffnet wurde, bei Deirdre Fortnam taten. Miss Lucille hegte sogar den Verdacht, dass ihr Gatte sich mehr für die Hollister-Plantage interessiert hatte als für ihre Person, als er um ihre Hand anhielt. Und Kinder hatten sie auch nicht …
»Pass doch auf!« Lady Warrington fuhr das kleine schwarze Mädchen, das sie eben versehentlich mit dem Palmwedel gestreift hatte, wütend an. Ein winzig kleines Ding, dessen Gesicht sich jetzt erschrocken und fast weinerlich verzog. »Du ruinierst meine Frisur!«, schimpfte die Lady weiter. »Na, was ist? Willst du dich nicht wenigstens entschuldigen?«
Ein anderes Mädchen senkte seinen Palmwedel und kam der Kleinen zu Hilfe.
»Es tut ihr natürlich sehr leid, Missis!«, erklärte sie – wieder in dem fließenden Englisch, das den Cascarilla-Sklaven zu eigen war.
Lady Warrington, wie auch die meisten anderen Kolonisten, brachte das zur Weißglut. Es war zweifellos nicht gottgewollt, dass die Neger so sprachen wie ihre Herren!
»Aber Rehema ist noch klein, sie sollte noch gar nicht mitmachen, sie wollte unbedingt.«
Rehema … was für ein Name! Konnten die Fortnams ihre Sklaven nicht Janey oder Lizzie nennen wie alle anderen? Die Kleine war wohl tatsächlich erst vier oder fünf Jahre alt.Das andere Mädchen, das nun sehr gefällig knickste, sieben oder acht. Lady Warrington hätte die Sache nach seiner Entschuldigung auf sich beruhen lassen können. Doch an diesem Abend ärgerte sie alles.
»Was heißt denn wohl ›sie wollte‹?«, wandte sie sich gereizt an das ältere Mädchen. »Was hat das Kind zu wollen? Diese impertinenten, verwöhnten Nigger hier …«
Das Mädchen knickste erneut – völlig hilflos. Es konnte mit Lady Lucilles Ausbruch offenbar nichts anfangen. »Kann ich noch irgendetwas tun für die Missis?«, fragte es höflich. Sicher ein Spruch, den es den älteren Dienern abgelauscht hatte.
»Ja, kannst du!«, meinte die Lady gallig, jedoch wider Willen einigermaßen versöhnt, und wies auf ihre halb geleerte Kaffeetasse. »Der Kaffee ist zu kalt. Und zudem zu stark, ich habe schon Sodbrennen. Du kannst mir etwas heißes Wasser aus der Küche holen.«
Das Mädchen strahlte und knickste beflissen zum dritten Mal. »Sehr, sehr gern, Missis! Ich bin gleich zurück. Ich werde Sie nicht lange warten lassen!« Damit ließ es den Palmwedel ins Gras fallen und sauste los.
Nora, die gerade über den Rasen kam, um sich den Damen zuzugesellen, hielt die Kleine lächelnd auf.
»Na, Nafia, so eilig? Wo musst du denn derart schnell hin?«
Das Mädchen sah sie mit ernstem Gesichtsausdruck an, aber seine Augen leuchteten.
»Wichtige Erledigung für Missis … Lady … Warrington!«, erklärte es stolz. »Muss ich ganz schnell machen, gegen ihr Sod… Sod…«
Nora lächelte. »Sodbrennen, Nafia … Adwea hat da eine Kräuteressenz, die recht gut hilft. Dann lauf mal und bring sie mit!«
»Mach ich ganz schnell, Missis Nora!« Nafia war schon wieder unterwegs.
Nora setzte sich, immer noch lächelnd, zu den Frauen. »Na, da fühlt sich aber jemand wichtig«, sagte sie wohlwollend mit Blick auf das davoneilende kleine Mädchen. »Wir ziehen sie in dem Alter noch nicht zu richtiger Arbeit heran, sie sind zu ungelenk. Doch sie wollen natürlich ›groß sein‹. Nicht mit dem Palmwedel auf meine Haare patschen, Rehema! Damit fächert man nur Luft. Schau, so!«
Zu Lady Warringtons größtem Befremden nahm Nora dem Kind den Palmwedel aus der Hand und machte es vor. Die kleine Rehema kicherte, als sie ein Lufthauch traf. Dann imitierte sie eifrig die richtige Bewegung, während Nora ein paar Worte mit der Lady wechselte. Die Beziehung zwischen Cascarilla Gardens und der Hollister-Plantage war angespannt, seit Doug Fortnam Lady Lucilles Tante viele Jahre zuvor eine schwarze Zofe ausgeliehen hatte. Lord Hollister hatte kurz danach versucht, das Mädchen zu missbrauchen, aber die junge Alima hatte sich gewehrt. Mit einem heißen Plätteisen hatte sie den Lord schwer
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