Die Insel der roten Mangroven
davon überzeugen können, dass ihr ›Messias‹ nicht unsterblich ist.«
»Aber das könnten sie auch haben, indem sie ihn einfach hängen«, erwiderte Nora. Die Fortnams saßen mit Victor und Deirdre am Frühstückstisch – es war eine der letzten gemeinsamen Mahlzeiten vor ihrer Abreise. So richtig wollte es allerdings keinem schmecken, Deirdre hatte sich sogar übergeben, als Victor von dem Urteil berichtete. Er war früh morgens von einem Notfall zurückgekehrt und hatte auf dem Weg nach Hause davon erfahren. »Ich sehe ja ein, dass sie ihn hinrichten müssen, aber so …«
»Die Papisten hatten noch nie sehr viel Geduld mit Ketzern«, bemerkte Doug. »Und als solchen bezeichnen sie ihn doch, oder?«
Victor nickte. »Ja, sie scheinen ihm die Sache mit dem ›Schwarzen Messias‹ fast noch mehr übel zu nehmen als dieGiftmorde und die Überfälle. Trotzdem ist es barbarisch. Ein Rückfall ins Mittelalter! Ich werde mich jedenfalls weigern, das mit anzusehen.«
»Dich wird ja auch keiner zwingen«, bemerkte Deirdre. Sie warf einen Blick auf Bonnie, die bei Tisch bediente und das Gespräch natürlich mit anhörte. Der jungen Schwarzen war das Blut dabei ebenso aus dem Gesicht gewichen wie Nora. Ihre Hände zitterten, als sie Kaffee nachschenkte. »Aber die Sklaven …«
»Wir sollten auf jeden Fall hierbleiben«, murmelte Nora.
Sie hatte die Abreise nach Jamaika so sehr herbeigesehnt, aber das bevorstehende Spektakel änderte alles. Nora redete sich ein, dass sie Deirdre und ihre Familie nicht alleinlassen wollte, in Wahrheit ging es jedoch um ihre Schuldgefühle. Wenn sie Jefe nicht gestellt, wenn er Macandal in seiner Verwirrung nicht verraten hätte, wenn sie Doug gegenüber geschwiegen hätte … Nora fühlte sich regelrecht verpflichtet, hier bis zum bitteren Ende auszuharren.
»O nein, Nora!« Doug schüttelte entschlossen den Kopf. »Du wirst dir das auf keinen Fall antun, nur weil du dich schuldig fühlst.«
Nora senkte den Kopf. Ihr Mann kannte sie zu gut.
»Du hattest überhaupt keine Wahl, du musstest ihn anzeigen. Und für das Urteil dieses infamen Gerichts bist du nicht verantwortlich.«
»Aber ich bin verantwortlich«, sagte Bonnie kleinlaut. Sie hielt sofort die Hand vor den Mund, natürlich sollte sie nicht sprechen oder sich gar in die Unterhaltung ihrer Herrschaft einmischen, wenn sie bediente. Sie konnte jedoch einfach nicht an sich halten. »Ich hab Jefe verraten. Und jetzt hasst er mich … bestimmt hasst er mich … und das Blut des Geistes kommt über mich und …«
»Bonnie!« Victor schüttelte den Kopf. »Bonnie, du bist dochnicht abergläubisch! Das Blut des Geistes! Macandal war sicher ein begnadeter Redner. Ich habe ihn ja gehört, der hat selbst seine Häscher noch in völlig betrunkenem Zustand in seinen Bann gezogen! Ich kann mir gut vorstellen, wie das auf die Sklaven wirkte. Und er war ein guter Stratege. Aber er ist ein Mensch, kein Geist, kein Messias, einfach nur ein Mensch. Er verdient den Tod, da stimme ich Doug absolut zu, nur nicht so einen schrecklichen. So etwas verdient niemand. Dieses Urteil ist eine Schande für die ganze Kolonie! Aber keiner von uns trägt die Schuld daran.«
»Und sieh es mal anders, Bonnie«, meinte auch Doug. »Wenn du Nora nicht auf Jefe aufmerksam gemacht hättest – dann wärest du mitverantwortlich für den Tod Tausender Menschen. Es war ein großer Schlag geplant, Giftmorde auf allen Plantagen, Angriffe auf die Gendarmerien …«
Deirdre legte ihr Besteck beiseite. Sie konnte nun wirklich nichts mehr essen.
»Aber die Sklaven wären jetzt frei«, sagte sie leise. »Wenn Macandal nicht gefasst worden wäre, dann hätten die Schwarzen einmal gesiegt.«
Jefe und seine Leute waren noch in der Weihnachtsnacht ins Hauptlager der Rebellen zurückgekehrt und hatten gleich Boten zu den anderen Stützpunkten der Verschwörer ausgesandt. Am nächsten Tag waren dann auch Mayombe und Teysselo wieder da, bereit, eine Befreiung zu planen. Einfach gestaltete sich das jedoch nicht.
»Er ist im Verlies der Gendarmerie von Cap-Français eingesperrt«, berichtete ein Späher der Bewegung, der als pacotilleur viel herumkam. »Am ersten Tag war er noch auf der Dufresne-Plantage, da hättet ihr zuschlagen müssen, da wäre es leichter gewesen. Aus der Stadt kriegt ihr ihn nie raus.«
»Auf der Plantage waren sie alle zu feige!«, erklärte Jefe. »Dawar nichts zu machen. Wir hatten Glück, dass wir noch rauskamen. Wieder hineinzugehen
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