Die Insel der roten Mangroven
Mèz!«, entrüstete sich Sabina, woraufhin alle lachten. »Auf Nouveau Brissac sie mich rausgeschickt. Ich nie, nie hätte vergiftet Mèz!«
»Das wissen wir doch, Sabina!«, begütigte Deirdre. »Keiner macht dir einen Vorwurf. Aber die Atmosphäre auf den Plantagen … In der letzten Zeit habe ich mich nur noch unwohl gefühlt. Wir fahren so bald nicht wieder zu deinen Eltern, oder, Victor?«
Victor schüttelte den Kopf. Er war mehr als zufrieden darüber, dass Deirdre nicht mehr aufs Land drängte. In den letzten Wochen hatte sich in der Stadt alles aufs Schönste eingespielt. Deirdre hatte sich endlich mit Leon angefreundet und unternahm ihre Ausritte nun zufrieden in seiner Begleitung. Außerdem gab es neuerdings zwei junge Ehepaare in der Stadt, mit denen die Dufresnes Umgang pflegten. Einer der Männer war Reeder, der andere arbeitete für den Gouverneur, und eine der jungen Frauen teilte Deirdres Begeisterung für das Reiten. Sie hatte ihr Pferd aus Frankreich mitgebracht, ein hochbeiniges Vollblut, mit dem sich Alegría nun regelmäßig in Rennen maß.
»Wir bringen jetzt diese Sache mit Macandal hinter uns. Ichwerde versuchen, die Schwarzen so weit wie möglich fernzuhalten«, er zwinkerte Leon zu, »was wahrscheinlich nur geht, indem ich auch dem letzten einen Freibrief ausstelle, und zwar heute noch. Dann werden wir hier ein friedliches Leben führen.«
Der Abschiedsschmerz ging in Leons Jubel unter – er war der Einzige, der bislang noch nicht über einen Freibrief verfügte. Und als Deirdre Nora zum Abschied etwas ins Ohr flüsterte, wirkte diese plötzlich auch gar nicht mehr betrübt, sondern eher euphorisch. Noch einmal drückte sie Deirdre an sich und schien etwas sagen zu wollen, aber Deirdre schüttelte verschwörerisch den Kopf und gebot ihr damit Schweigen.
»Übers Jahr kommen wir nach Jamaika! Ganz sicher!«, beteuerte die junge Frau. »Und solange grüßt ihr Mama Adwe und Kwadwo und all die anderen.«
»Und die Warringtons und die Keensleys.« Doug lachte und küsste seine Tochter noch einmal, bevor er seine Frau nun endgültig aufs Schiff geleitete. »All unsere reizenden Nachbarn werden entzückt sein zu hören, dass du sie nie vergessen hast. Weißt du jetzt eigentlich ein bisschen mehr über Giftpflanzen, geliebte Nora?«
Die Dufresnes warteten am Hafen und winkten, bis die Queen of the Waves am Horizont verschwunden war. Dann machten sie sich auf den Heimweg – Deirdre etwas melancholisch, doch die Sklaven waren in Feststimmung.
Leon scherzte mit den Frauen über das, was er mit seiner künftigen Freiheit anzufangen gedachte, und Amali begeisterte sich darüber, dass Libby eben zum ersten Mal Schiff gesagt und au revoir ganz ohne Fehler ausgesprochen hatte. Niemand achtete auf Bonnie, die ihre Blicke müßig, aber wachsam über das Treiben am Hafen schweifen ließ. Bonnie hatte Simalois Ausbruch auf Nouveau Brissac nicht vergessen, und sie fürchtete seitdem stets Übergriffe auf Namelok. Genau wie sie inzwischen wusste,dass die junge Massai zu Jefe und damit zu Macandal gehört hatte, wusste Jefe gewiss, dass Bonnie wieder bei Dr. Dufresne lebte. Zweifellos hatten die Rebellen ihre Quellen, sie konnten leicht herausfinden, wo sie sich mit Namelok aufhielt. Leon und die Dufresnes meinten zwar, dass die Aufrührer zurzeit sicher anderes zu tun hätten, als eine Kindesentführung zu planen. Bonnies Panik wurde mitunter jedoch so groß, dass sie ernstlich daran dachte, die Dufresnes zu verlassen.
Nun war das bisher nicht möglich gewesen, wenn sie nicht auch Leon verlassen wollte. Noch so etwas, das weiter in der Schwebe war. Sie ließ zu, dass Leon um sie warb, aber in ihr Bett gelassen hatte sie ihn bislang noch nicht. Sosehr sie seine freundliche Art mochte und sich ihm verbunden fühlte – nach all dem, was sie mit Männern erlebt hatte, traute sie keinem genug, um sich vollständig auf ihn einzulassen. Keinem außer Jefe …
Bonnie rieb sich die Schläfe. Sie musste sich diesen Unsinn endlich aus dem Kopf schlagen und ernstlich über eine Verbindung mit Leon nachdenken. Nun, da er frei sein sollte, würde er sicher bald von Heirat sprechen. Und wenn Bonnie wollte, konnte sie das davon abhängig machen, dass er mit ihr und Namelok fortging … Sie schaute zu Leon hinüber, der die vergnügte Namelok auf seinen breiten Schultern reiten ließ. Es wäre eine gute Entscheidung, sie konnte sich keinen besseren Vater für die Kleine wünschen – und sich selbst keinen
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