Die Insel der roten Mangroven
Wermutstropfen in ihrer Begeisterung für Victor – aber ein bisschen wurmte es sie doch, dass Victor auf dem Fest der Keensleys die diplomatische Lösung vorgezogen hatte. Für sich rechtfertigte sie das mit der Überlegung, dass Quentin sie nicht hätte brüskieren können, hätte Victor ihn gleich gefordert. Sie wusste natürlich, dass damit auch ein Wortwechsel hätte verbunden sein können. Vielleicht hätte Quentin seine Schmähungen dann laut und allgemein verständlich herausgerufen, was viel schlimmer gewesen wäre. Bis zum Ende durchdacht, wären die Folgen womöglich verheerend gewesen, Victor hatte sich absolut richtig verhalten. Aber es machte einfach Spaß, ihn ein wenig zu necken …
Deirdre bereute ihre Worte jedoch gleich, als sie Victors betroffenes Gesicht sah.
»Halten Sie mich für einen Feigling, Miss Deirdre?«, fragte der Arzt leise. »Ich … ich frage, weil ich das nicht zum ersten Mal höre. Meine Familie … es heißt, ich sei zu weich … MeineEinstellung zur Sklaverei, mein Wunsch, Menschen zu helfen … Es ist wahr, Miss Deirdre, ich schlage mich nicht gern. Gewalt ist meiner Ansicht nach die schlechteste Lösung für so ziemlich jedwedes Problem. Aber ich bin auch kein Drückeberger. Ich versuche nur zu tun … was richtig ist.«
Deirdre lächelte, stellte sich auf die Zehenspitzen und bot Victor den Mund zum Kuss. »Dann tu’s doch jetzt auch!«, flüsterte sie. »Und rede nicht so viel!«
Sie schmiegte sich an ihn, als er endlich die Arme um sie legte, und genoss seinen Kuss, der dann alles andere war als zögerlich. Victor war nicht unerfahren, und jetzt, da er sicher war, dass Deirdre seine Liebe erwiderte, ließ er seine Zunge geschickt mit der ihren spielen, seine Finger über ihren Körper wandern … Deirdre schmolz dahin und wünschte sich nur noch, aufzugehen in ihrer Lust.
»Willst du mich denn heiraten?«, fragte er dann wirklich, als beide wieder zu Atem kamen. »Möchtest du meine Frau werden?«
Deirdre nickte entschlossen. »Ich hab’s mir vom ersten Moment an gewünscht!«, bekannte sie. »Und du brauchst dich nicht für mich zu schlagen.« Lächelnd zwinkerte sie ihm zu. »Ich pass schon selbst auf mich auf! Und außerdem …« Deirdre spielte mit Alegrías Zügel, die sie auch während des Kusses nicht losgelassen hatte. Dafür lag die Rose nun zertreten zu ihren Füßen. »Außerdem hab ich ein schnelles Pferd …«
Victor lächelte, entzückt von ihrem Witz und ihrer Selbstsicherheit. »Dann sollte ich dir rasch Fesseln anlegen, bevor du mir wegreitest«, scherzte er, zog ein Kästchen aus seiner Tasche und öffnete es.
Die Sonne ließ einen schlichten Goldreif mit einem funkelnden Diamanten aufblitzen, und Deirdre entzifferte beglückt die feine Gravur: V. und D. – für immer. Ihr kamen Tränen der Rührung, als Victor ihr den Ring überstreifte.
»Ich werde ihn immer tragen«, versprach sie. »Wenn ich ihn trage, bin ich dein …«
Auch Nora hätte beinahe geweint, als Deirdre ihr später begeistert von den Stunden am Strand erzählte, jenem Strand, von dem Nora schon als junges Mädchen geträumt hatte, und an dem Doug Fortnam sie schließlich zum ersten Mal gesehen hatte. Sie konnte es sich nicht erklären, aber der Gedanke an die Liebenden am Meer versöhnte sie mit dem Wissen, ihre Tochter jetzt an einen fremden Mann und eine andere Insel zu verlieren. Sie bewunderte den schlichten, aber kostbaren Ring – und dachte an den Siegelring, der sie jahrelang an ihre erste Liebe Simon erinnert hatte. Er hatte nie über Noras schlanke Finger gepasst, während Victor bei der Wahl von Deirdres Ring ein erstklassiges Augenmaß bewiesen hatte. Er saß perfekt und wie für sie gemacht. Deirdre konnte sich kaum daran sattsehen. Sie lief durchs ganze Haus und ruhte nicht, bis ihn auch der letzte Hausdiener und das jüngste Küchenmädchen bewundert hatten. Zuletzt tanzte sie in ihre Räume und umarmte Amali, die dort geduldig auf sie wartete, um ihr beim Umkleiden zu helfen. Die Fortnams wollten die Verlobung mit einem Familiendinner feiern.
»Deirdre Dufresne … Kannst du’s glauben, Amali? Deirdre Dufresne …«
Die junge Frau lauschte dem Klang ihres künftigen Namens, wiederholte ihn immer wieder und schmeckte dabei dem Kuss nach, den sie mit Victor am Strand getauscht hatte. Ihr erster Kuss. Amali lächelte, als Deirdre ihr genau beschrieb, was sie dabei gefühlt hatte.
»Ich hab’s nicht zugegeben, aber ich hatte schon ein bisschen
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