Die Insel der roten Mangroven
irgendetwas gab, das sie an Victor nicht schätzte, so war es seine mitunter übertriebene Korrektheit. Victor Dufresne würde erst um die Hand einer jungen Frau bitten, bevor er sie küsste. Alles andere würde seiner Vorstellung von einem Gentleman zuwiderlaufen.
Allerdings war auch Nora der Ansicht, dass sein Antrag nur eine Frage der Zeit war, und so war Doug nicht überrascht, als der junge Mann schon am Dienstag in seinem Kontor in Kingston erschien, um förmlich bei ihm vorzusprechen. Doug stellte amüsiert fest, dass er sich Mühe mit seinem Äußeren gegeben hatte. Victors Haar war geflochten und gepudert, und ausnahmsweise machte sich keine Strähne davon selbstständig, was ihm ein distinguierteres Aussehen verlieh. Er trug reinweiße Kniehosen, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe, dazu ein nussbraunes Jackett mit in der Taille zusammengebundenen Schößen und goldgelben Umschlägen. Zweifellos das Äußerste an modischen Zugeständnissen, zu denen sich dieser eher zurückhaltende junge Arzt aufraffen konnte. Natürlich durfte auch der unvermeidliche Dreispitz nicht fehlen. Mit dem Hut in der Hand vollführte Dufresne eine perfekte Verbeugung, die jedem Höfling Ehre gemacht hätte.
Doug lächelte, bat ihn herein und bot ihm einen Platz an. Sein Büro in Kingston war anders eingerichtet als die Salons in Cascarilla Gardens, in denen heimische Hölzer und die für die Karibik typische verspielte Schnitzkunst vorherrschten. Das Kontor war nach französischer Mode möbliert, wozu aufwendig verzierte Sessel mit elegant geschwungenen Beinen und Petit-Point-Stickereien sowie Tischchen und Anrichten mit Blattgoldauflage gehörten. Victor Dufresne schien dieser Stil ebenso wenig zu liegen wie Nora und Doug, aber vielleicht war es auch nur seine Nervosität, die ihn befangen vorn am Rand des Besuchersessels Platz nehmen ließ.
Doug wartete. Er bewahrte eine Flasche besten Rums in einem seiner Schränke auf, mittels dessen sich die Atmosphäre sicher lockern ließe, zuerst jedoch wollte er den jungen Mann sein Anliegen vortragen lassen. Dufresne hielt sich denn auch nicht mit langen Vorreden auf. Er bat mit gesetzten Worten, aber fester Stimme um die Erlaubnis, förmlich um die Tochter der Fortnams werben zu dürfen.
»Ich habe große Zuneigung zu Miss Deirdre gefasst, und ich wage anzunehmen, dass auch sie mich … nicht abstoßend findet …«
Victor räusperte sich, anscheinend hätte er sich fast verhaspelt. Doug überlegte amüsiert, ob Deirdre wohl von diesem Besuch wusste und ob sie genauso nervös war wie ihr Kavalier.
»Nun ist Miss Deirdre natürlich noch sehr jung, und ganz allgemein hätte ich auch gar nichts gegen eine längere Verlobungszeit einzuwenden«, sprach Dufresne gleich weiter. »Im Gegenteil, es würde mich glücklich machen, sie zu verwöhnen und zu umwerben … ihr Gelegenheit zu geben, mich näher kennenzulernen …«
»Also über die Erkenntnis hinaus, dass Sie ein hervorragender Reiter sind?« Doug lächelte, um es Victor leichter zu machen.»Das hat sie uns nämlich bereits verraten. Um nicht zu sagen, sie hat von Ihnen geschwärmt, Dr. Dufresne …«
Über Victors gebräunte Wangen flog eine leichte Röte. Wahrscheinlich tat es ihm jetzt leid, auf ein geschminktes Gesicht verzichtet zu haben.
»Ich … äh … ich bin Deirdre in keiner Weise zu nahe getreten. Aber sie … sie ist einfach hinreißend, gerade zu Pferde, sie …«
»Ich weiß, dass meine Tochter hinreißend ist«, erklärte Doug. »Und ich habe auch bereits Erkundigungen über Sie eingezogen, Dr. Dufresne. Ich weiß, dass Sie Ihren Aufenthalt hier auf Jamaika deutlich über Ihre ursprüngliche Planung hinaus ausdehnen, obwohl Sie eigentlich nach Hispaniola zurückkehren müssten … Schließlich wollen Sie dort eine Praxis eröffnen.«
Dufresne nickte erleichtert. »Nicht nur das, Mr. Fortnam«, erklärte er dann. »Ich hätte auch hier schon Patienten, die mein Auskommen gewährleisten würden. Doch es ist ein Stadthaus in Cap-Français geplant, Mr. Fortnam, das mein Vater großzügigerweise für mich errichten lassen will.« Victor spielte mit seinem Dreispitz. Wirklich glücklich schien er über die Spendabilität seiner Familie nicht zu sein. »Und wenn ich nicht zugegen bin, um es mitzuplanen, dann … dann wird es keine Arztpraxis, sondern ein … na ja, es wird wie das Herrenhaus einer Plantage aussehen.« Victor hielt inne. Kritik an seinen Eltern kam bei seinem hoffentlich künftigen
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