Die Insel der roten Mangroven
vor der schrecklichen Fabienne Roches. Die ohnehin alles, was jenseits eines Nonnenschleiers liegt, für frivol hält. Also war es halb so schlimm. Erzähl mir lieber, was Lennie gesagt hat. Er kommt nicht zurück?«
Dies war eher eine Feststellung als eine Frage gewesen, aber Amali löste es jetzt immerhin die Zunge. Wieder schluchzend berichtete sie von ihrem Besuch im Hafenviertel.
»Er ist kein guter Mann!«, zog sie schließlich Bilanz. »Und zudem ein Dummkopf!«
Deirdre musste sich beherrschen, nicht zu lachen. Immerhin rutschte ihr ein »Und das überrascht dich?« heraus.
Amali blickte sie verwundert an. »Sie nicht? Also ich hab immer gedacht … na ja, Lennie ist vielleicht etwas langsam, doch eigentlich ganz klug und …«
Deirdre holte tief Luft. »Amali, jeder, der je mit ihm zu tun hatte, hielt ihn für dumm und faul. Wir haben ihn nur mitgenommen, um dir einen Gefallen zu tun, obwohl Kwadwo das Schlimmste für die Pferde befürchtet hatte. Und ist dir nicht aufgefallen, dass Victor jede Nacht den Küchenofen überprüft, damit Lennie uns beim Anfeuern nicht versehentlich das Haus anzündet?«
Amali blitzte sie an. »Aber … aber das hättest du mir sagen müssen!«, empörte sie sich und vergaß für einen Moment die förmliche Anrede, die aus ihrer Freundin Deirdre ihre Missis machte.
Deirdre lächelte. »Du hättest es mir doch nicht geglaubt«, erwiderte sie begütigend. »Du warst verliebt. Da ist es normal, dass man …«
»Du hättest es mir trotzdem sagen müssen!«, beharrte Amali. »Also, versteh mich jetzt richtig: Es war ja sehr nett von meiner Missis, dass sie einen dummen, faulen Nigger ins Haus genommen hat, nur um mir einen Gefallen zu tun. Meine Freundin Deirdre jedoch, die hätte es mir sagen müssen!«
Deirdre hob entschuldigend die Hände. »Ich wollte dir nicht wehtun, Amali. Niemand wollte das, auch nicht Sabina und Nafia …«
»Sabina ist nicht meine Freundin und Nafia ist noch klein. Die zählen nicht. Aber du … du … Freundinnen sagen sich so etwas. Oder sie versuchen es jedenfalls.«
Amalis Blick war tadelnd, doch sie griff immerhin nach einem weiteren Honigkuchen. Also schien sie nahe daran, Deirdre zu vergeben.
Deirdre seufzte. »Na schön, beim nächsten Mal sage ich es dir. Falls es ein nächstes Mal gibt. Und jetzt vergessen wir die Geschichte, ja? Vor allem hörst du endlich auf zu weinen. Der Kerl ist es nicht wert. Soll er doch mit seiner Hafenhure glücklich werden!«
Amali erschien am nächsten Tag wie versprochen wieder zur Arbeit. Kurz darauf begann sie dem Milchmann Jolie, einem stets gut gelaunten jungen Mann mit milchkaffeefarbener Haut und glühendem Blick, schöne Augen zu machen.
»Du wirst deine Zofe auch bald los sein«, prophezeite Victor seiner Frau, als er dessen gewahr wurde. »Wenn Jolie sie heiratet, ist sie weg. Ich fürchte, sie sieht sich durch das Sakrament der Ehe ebenso wenig gebunden wie Lennie. Solltest du da nicht mal mit ihr drüber reden?«
Deirdre zögerte mit einer Antwort. »Ich bin nicht ihre Seelsorgerin, das Sakrament nehme ich nicht so wichtig«, bemerkte sie dann. »Als ihre Herrin würde ich es bedauern, wenn sie ginge, aber Amali ist frei. Und als ihre Freundin sage ich: Jolie ist ein netter Kerl und Gott sei Dank nicht dumm!«
KAPITEL 7
W illst du wieder nicht mit zu den Mädchen?«
Sanchez boxte Bonnie gutmütig in die Seite. Er fragte, obwohl er die Antwort schon kannte. Bobbie würde sich auch in diesem Hafen nicht anschließen, wenn die Truppe um den lebenslustigen Quartiermeister der Mermaid durch die Bordelle zöge.
Der kleine, drahtige Kanonier hatte sich auch gar nicht erst für den Ausgang umgezogen. Bonnie trug ihre Bordbekleidung, die kurze, weite Leinenhose und ein kariertes Hemd, während sich Sanchez, Jefe und die anderen für den Landgang festlich hergerichtet hatten. Sanchez kombinierte Kniehosen und Brokatjackett mit seinem Dreispitz, Jefe führte Seidenweste und -rock sowie ein reinweißes Rüschenhemd aus, dazu Kniehosen und -strümpfe sowie Schuhe mit silbernen Schnallen.
Bonnie lächelte schüchtern und schüttelte den Kopf. »Nee, Sanchez, kein Bedarf. Ich zieh lieber die alte Masche durch, mal gucken, ob ich uns ’ne dicke Prise aufreiß …«
Während Jefe in den zwei Jahren an Bord der Mermaid zu einem gestandenen Mann mit schweren Muskelpaketen herangereift war, wirkte Bonnie immer noch wie ein Junge, der eben seiner Familie entwischt war. Bei Landgängen schlug sie
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