Die Insel der roten Mangroven
daraus seit einiger Zeit Kapital – sie zog durch die Hafenspelunken und hörte sich nach einer Stelle als Schiffsjunge um. Ganz nebenbei zog sie Erkundigungen darüber ein, was die jeweiligen Schiffe geladen hatten und welche Route sie nahmen.
»Na, dann viel Glück«, sagte Sanchez resignierend. »Obwohl ich das nicht wirklich gutheißen kann. Du solltest dir auch mal was gönnen, Kleiner! Das ist nicht gesund … zwei Jahre ohne Weiber!«
Pitch, der einbeinige Koch, kicherte. »Na, aber der Ritt, den er vorher hatte, war wohl auch nicht gesund …«
Bonnie wurde sichtlich verlegen, die Männer pfiffen, als sie das bemerkten. Das mit der »Französischen Krankheit« konnte einem Mann schon anhängen, das sahen sie ein.
Bonnie dagegen ärgerte sich darüber, dass ihr die Angelegenheit immer noch peinlich war, zumal es gar nichts gab, wofür sie sich schämen musste. Schließlich litt sie nicht wirklich unter einer Geschlechtskrankheit. Wenn sie sich dazu bekannte, gehörte das nur zu ihrer Tarnung. Die Annahme der Männer, sie litte an der Krankheit, die Spanier und Engländer die »Französische«, Franzosen die »Spanische« nannten, half ihr, an Bord der Mermaid als Mann zu überleben – im Übrigen eine Aufgabe, die längst nicht so schwierig war, wie Bonnie befürchtet hatte. Die Piraten zogen sich fast nie aus, und die weite Kleidung, die sie an Bord trugen, hätte auch sehr viel weiblichere Formen als Bonnies mageren Körper verdeckt. Den mangelnden Bartwuchs erklärten sich die Männer mit ihrer Jugend, und zum Urinieren hatte sich Bonnie ein Rohr zugelegt, das sie immer mit sich führte. Mit etwas Übung war es einfach, den Urinstrahl hineinzulenken, und verdeckt von den weiten Hosen sah es völlig echt aus, wenn er dann nach vorn abfloss.
Das einzige Problem, das sich stellte, war Bonnies monatliche Blutung. Natürlich nutzte sie jede Gelegenheit, Stofffetzen oder Schwämme an sich zu bringen, um sie unauffällig aufzufangen, aber es kam doch vor, dass den Männern Flecken an ihrer Kleidung oder blutiger Urin auffielen, wenn »Bobbie« neben ihnen über die Reling pinkelte. Bonnie hätte das nicht erklären können, zu ihrer Überraschung wunderte sich jedochkein einziger der Piraten darüber – die bedauerten lediglich, dass ihr Kanonier sich schon in so jungen Jahren jene heimtückische Krankheit eingefangen hatte. Jeder wusste, dass man sie sich beim Geschlechtsverkehr mit schmutzigen Frauen holte, Blut im Urin gehörte zu den Symptomen. Zu Bonnies Erleichterung erklärten sich die Piraten damit auch ihre Enthaltsamkeit. Man zog den »Kleinen« zwar damit auf, dass er nicht mit ins Bordell ging, argwöhnte allerdings nichts.
»Ich würd mich mal behandeln lassen!«, regte Sanchez jetzt an. »Soll doch Kuren geben, die’s zumindest besser machen. Und ’nen passenden Quacksalber gibt’s in jedem Hafen. Aber unser Bobbie hält ja sein Geld lieber zusammen …«
»Irgendwann wachen wir auf, und er hat dem Captain sein Schiff unterm Hintern weggekauft!«, mutmaßte Pitch mit gutmütigem Grinsen.
Bonnie lächelte und schwieg. Es stimmte, dass sie ihr Geld sparte, und tatsächlich bereitete ihr nichts größeres Vergnügen, als all die Silberstücke und Golddukaten durch ihre Hände gleiten zu lassen, die sie in ihrer Hängematte hortete. Niemals gab sie Geld für Tand oder edle Kleidung aus wie Jefe und die anderen Piraten, lediglich eine passende Scheide für ihr Schlachtermesser hatte sie sich einmal anfertigen lassen. Und so beobachtete sie glücklich, wie ihr Vermögen wuchs. Anfänglich langsam – als Lehrjunge des Kanoniers war ihr Anteil an der Prise sehr gering gewesen. Aber seit sie zum Kanonier und nun neuerdings zum Ersten Kanonier aufgestiegen war, kletterte die Summe in für sie schwindelerregende Höhe.
»Bobbie« galt allerdings auch als der beste Scharfschütze, den Captain Seegall und seine Männer je erlebt hatten. Der Junge schien einen siebten Sinn dafür zu haben, wie die Kanonen auszurichten waren, und mit seinem Adlerblick erkannte er mögliche Ziele früher als alle anderen. Er war von dem rundlichen Ersten Kanonier Twinkle persönlich als Nachfolger vorgeschlagen worden, der hatte das Schiff ein paar Monate zuvor verlassen.
»Lebend! Auf eigenen zwei Beinen!«, wie Sanchez nicht müde wurde zu betonen.
Es kam ausgesprochen selten vor, dass sich ein Pirat bei guter Gesundheit zur Ruhe setzte, wie Twinkle es getan hatte. Die meisten Männer endeten im Meer,
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