Die Insel Der Tausend Quellen
ordentlich situierter Landadliger hätte durchaus auf eine Ehe mit Nora hoffen können. Auch wenn Thomas Reed selbst sich eher einen Kaufmann als Schwiegersohn wünschte, er hätte hier Kompromisse gemacht, wenn Nora sich die Verbindung so sehr gewünscht hätte wie offensichtlich diese Heirat mit Simon. Thomas Reed hatte seine Tochter nie so aufgebracht erlebt wie an dem Abend, als er sie von der Ablehnung seines Antrags in Kenntnis gesetzt hatte. Nora weinte, schrie und flehte – Thomas hatte seine sonst so freundliche und im Allgemeinen gehorsame Tochter kaum wiedererkannt. Es fiel ihm schwer, ihr nicht nachzugeben, aber er war überzeugt davon, das Richtige zu tun. Auch Nora würde das irgendwann einsehen.
Als Simon auch am zweiten Tag nicht ins Kontor kam, begann Reeds Verständnis allerdings einem gewissen ärger zu weichen. Gut, der Junge war stolz, aber jetzt ging er zu weit. Es stand seinem Angestellten nicht an zu schmollen. Schlimm genug, dass Nora es tat! Sie hatte sich seit dem Antrittsbesuch in ihre Räume zurückgezogen und wechselte kein Wort mit ihrem Vater. Thomas Reed klagte sein Leid darüber schließlich einer alten Freundin, die ihm schon oft in Erziehungsdingen zur Seite gestanden hatte.
»Ach, das müssen Sie nicht überbewerten!«, lachte Lady MacDougal, eine schottische Landadlige, deren Gatte einen Parlamentssitz innehatte. Ihre Familie hielt sich deshalb öfter in London auf. »Diese Mädchen mit ihren Schwärmereien! Das kommt alles nur rüber vom französischen Hof. Faire l’amour als Lebensinhalt! Wobei Ihre Tochter ja noch einen gewissen Stil bewiesen hat – der Junge ist immerhin ein verarmter Lord. Unsere Eileen meinte dagegen im letzten Jahr, einen Stallknecht heiraten zu wollen! Überlegen Sie sich das, der Kerl konnte kaum schreiben und lesen! Hat sie aber ein paarmal beim Reiten begleitet und völlig verrückt gemacht. Nun ließ sich das leicht abstellen … und das wird bei Ihrer Nora auch nicht anders sein. Sie muss nur mal auf andere Gedanken kommen. Wissen Sie was? Wir nehmen sie mit nach Balmoral, zur Jagdsaison, sie kann ein paar Jagden reiten. Kaufen Sie ihr ein neues Pferd, das wird sie glücklich machen. Und vor allem folgt da ja ein Ball dem anderen. Sie wird mehr junge Gentlemen kennenlernen, als sie an zehn Fingern abzählen kann, alle schneidige Reiter, gute Tänzer … Für den finanziellen Hintergrund kann ich natürlich nicht garantieren.« Die Lady lachte. »Aber das Thema ›Greenborough‹ ist damit sicherlich abgeschlossen.«
Thomas Reed verließ sie getröstet. Im Grunde hatte sie ja Recht: Nora fehlte es ein bisschen an Realitätssinn, aber nicht vollständig an Urteilsvermögen. Im Gegensatz zu Eileen MacDougal bewies sie mit ihrer heimlichen Liebe zumindest Würde. Insofern war er fast gut gelaunt, als er Nora am Abend zu einem gemeinsamen Dinner zitierte und mit seinen Plänen herausrückte. Noras Empörung darüber überraschte ihn.
»Ich will kein Pferd, Papa, ich will Simon! Ich bin kein Kind mehr, das man mit einem Puppenhaus von anderen Wünschen ablenkt!«
Nora warf ihre Serviette auf den Tisch und schob ihren Teller von sich.
»Vor drei Tagen hast du mir noch nahegelegt, deinem Auserwählten einen Posten in den Kolonien zu kaufen«, bemerkte Reed, den seine Hilflosigkeit gegenüber Noras fortschreitender Rebellion langsam wütend machte. »Früher war’s ein Puppenhaus, jetzt ist es ein Kolonialhaus – dem ›Zuckerbäckerstil‹ bleibst du immerhin treu, und bunt zu bemalen pflegen die Pflanzer ihre Residenzen auch mitunter.«
»Ich würde mit Simon auch in einer Hütte wohnen!«, trumpfte Nora auf. Tatsächlich gehörte ein solches, mit Palmblättern gedecktes Domizil zu ihren liebsten Tagträumen. »Und ich werde ihn auf jeden Fall heiraten! Egal, was du sagst!«
Thomas Reed seufzte und verhängte erst einmal Hausarrest – nicht auszudenken, dass Nora ihm wirklich weglief ! Worüber er sich allerdings keine größeren Sorgen machte: Simon Greenborough hatte ganz sicher kein Geld für eine Passage nach Übersee. Und grub sich zurzeit ohnehin sein eigenes Grab. Noch ein Tag unentschuldigtes Fehlen, und Reed würde dem Drängen seines Bürovorstehers nachgeben und den jungen Mann entlassen. Sollte er sehen, wie er fertig wurde!
Tatsächlich wartete er dann allerdings noch fast eine Woche, bis er sich endgültig entschloss, Simon Greenborough die Kündigung zustellen zu lassen. Außerdem beauftragte er den damit betrauten Sekretär,
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