Die Insel Der Tausend Quellen
Familie Greenborough haben noch nie gehungert!«, sagte er dann würdevoll.
Thomas Reed holte tief Luft und nahm einen Schluck Rum. »Aber fast, Simon. Und wenn ich mir Sie so ansehe, bin ich auch gar nicht sicher, ob Sie genug zwischen die Zähne kriegen. Jedenfalls hat Ihr Vater doch Ihr Land und Ihr Haus und seinen Titel verspielt, wenn ich recht informiert bin. Und Sie halten sich nun mühsam über Wasser – wobei ich Ihren Fleiß und Ihr Durchhaltevermögen durchaus schätze. Ich hörte, Sie tragen die Schulden Ihres Vaters ab – Respekt, junger Mann, so mancher andere hätte sich längst abgesetzt. Aber das sind doch keine Verhältnisse, in die ich meine Tochter verheirate!«
»Sie wäre immerhin eine Lady Greenborough«, wandte Simon ein.
Thomas Reed rieb sich die Schläfe. »Nicht einmal das, Simon, und das wissen Sie. Gut, niemand wird Ihnen die Anrede ›Viscount‹ absprechen, aber wenn Noras Kinder den Titel erben sollten, dann müsste ich sie doch eher mit einem Codrington verheiraten, nicht?«
Simon senkte den Kopf. Natürlich, Thomas Reed vermittelte mitunter selbst im Handel um Grafschaften und Parlamentssitze. Er wusste, was den Greenboroughs geschehen war.
»Mr. Reed … ich liebe Ihre Tochter!« Etwas anderes fiel Simon nicht mehr ein.
Thomas Reed zuckte die Schultern. »Das verstehe ich«, sagte er kurz. »Nora ist eine wunderschöne, kluge und äußerst liebenswerte junge Frau. Aber das ist kein Argument für eine nicht passende Ehe.«
»Nora liebt mich.« Simons Stimme klang erstickt.
Thomas warf ihm einen Blick zu und versuchte, in seinem Schreiber das zu erkennen, was seine Tochter offensichtlich in ihm sah: zweifellos einen Gentleman mit besten Umgangsformen. Er war sehr gut aussehend, wenn man diesen schmalen, etwas durchgeistigten Typ mochte. Simon hatte sanfte braune Augen, die im Dämmerlicht des Herrenzimmers fast schwarz wirkten, hohe Wangenknochen und volle, aber fein geschwungene Lippen. Seine sensiblen Hände mit den langen Fingern wirkten beinahe graziös – wahrscheinlich war er ein guter Reiter und Tänzer. Nora mochte wirklich in ihn verliebt sein, und vielleicht machte er sie sogar glücklich. Aber verdammt, es ging nicht mehr darum, seiner Tochter ein Spielzeug zu kaufen, um das sie bettelte. Nora war fast erwachsen. Er musste an ihre Zukunft denken.
»Das wird sich auch wieder ändern«, beschied er seinen Schreiber hart. »Es tut mir leid, Simon, aber ich kann Ihrem Antrag nicht entsprechen. Und Nora selbst kann Ihnen auch keine Zusage geben, dazu ist sie viel zu jung und unreif. Bleibt die Frage, wie wir jetzt verfahren. Ich möchte Sie nicht hinauswerfen, nur weil Sie meine Tochter lieben. Aber ich lege Ihnen doch nahe, sich in absehbarer Zeit nach einer anderen Stellung umzusehen. Vorzugsweise in einem Kontor, dessen Betreiber keine fast heiratsfähige Tochter hat. Selbstverständlich werde ich Ihnen hervorragende Zeugnisse ausstellen. Ich wünsche Ihnen nichts Böses, Simon Greenborough. Aber Sie müssen anfangen, sich mit Ihrem Stand und Ihrer Stellung abzufinden.«
Thomas Reed machte eine Handbewegung, die Simon hinauswies. Das Gespräch war für ihn offensichtlich beendet. Simon verbeugte sich noch einmal, wie die Konvention es vorschrieb, aber er brachte kein Wort mehr heraus. Reed schien auch keines zu erwarten. Simon hatte das Gefühl, wie blind aus dem Zimmer zu stolpern. Zum Glück nahm ihn vor der Tür der Butler in Empfang, nach dem Reed wohl geklingelt hatte. Allein hätte er nicht hinausgefunden.
Es regnete wieder, als Simon auf die Straße trat, aber diesmal bemerkte er es kaum. Wie in Trance lief er die Straßen von Mayfair entlang, überquerte die Themse-Brücke und kehrte zurück ins Eastend. Er schleppte sich die knarrende, baufällige Holztreppe zu seinem Zimmer hinauf, hörte nicht auf Mrs. Paddingtons zänkische Stimme, die schon wieder irgendetwas zu beanstanden hatte, und versuchte, alle Sinne vor der hier ständig herrschenden Geruchsmischung aus Küchendünsten, Abtritt und nasser Kleidung zu verschließen. Schließlich erreichte er schwer atmend seinen Verschlag unter dem Dach. Seinem Stand und seiner Stellung angemessen …
KAPITEL 4
T homas Reed machte sich keine großen Gedanken darüber, dass Simon Greenborough am nächsten Tag nicht zur Arbeit erschien. Er war sogar bereit, es dem jungen Mann nachzusehen. Gut, Simons Antrag war anmaßend gewesen, aber man musste ihm seine adlige Abstammung und Erziehung zugutehalten. Ein
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