Die Insel Der Tausend Quellen
in den letzten Wochen noch dünner geworden war. Aber seine Kleidung war immerhin untadelig. Er wurde immer besser in der Pflege der Spitze und Brustkrause an seinen letzten beiden Hemden, hatte selbst zu Nadel und Faden gegriffen, um Rock und Hose enger zu machen, und gestern einen Penny in Schmalz investiert, um seine abgetragenen Schnallenschuhe wieder auf Hochglanz zu polieren. Sein dunkles Haar hatte er wieder gepudert, aber diesmal nicht mit Talkum gespart. Mit ein bisschen gutem Willen konnte man die Pracht für eine der modischen Perücken halten.
»Und du siehst wunderschön aus«, gab er das Kompliment ehrlich an Nora zurück.
Sie lächelte geschmeichelt und strich den Stoff über ihrem Reifrock glatt. Zur Feier des Tages hatte sie sich für ein Kleid aus goldfarbenem Brokat entschieden, geschmückt mit unzähligen Schleifen und Bändern. Noras Haar war prachtvoll geflochten und wie immer nicht gepudert. Ihre Wangen waren vor Aufregung und freudiger Erwartung ganz rosig.
»Komm herein, Papa ist sehr gut gelaunt! Und was für schöne Blumen … Aber nein, das sage ich gleich erst! Vielleicht … vielleicht wartest du auch gerade, bis der Butler kommt …«
Im letzten Moment zeigte Nora denn doch etwas Angst vor der eigenen Courage. Sie ließ es sich allerdings nicht nehmen, Simon kurz aufmunternd auf die Wange zu küssen – und errötete ebenso wie er, als der Butler in der Tür erschien und durch ein Räuspern auf sich aufmerksam machte. Augenblicklich stob sie davon – Simon folgte ihr langsam, geführt von dem würdigen Majordomus, dessen Dienstkleidung erheblich kostbarer wirkte als Simons so mühsam gepflegter Staat als Brautwerber.
Thomas Reed hatte es sich in seinem Herrenzimmer gemütlich gemacht – etwas verwundert darüber, dass sich seine Tochter mit einer Stickerei zu ihm gesellte. Gewöhnlich mochte sie das Herrenzimmer nicht und zog stets ihr Näschen kraus, wenn sie des anheimelnden Geruchs nach Tabak, altem Leder und Rum gewahr wurde.
Nun aber saß Nora ihrem Vater gegenüber und versuchte, sich auf ein Gespräch zu konzentrieren. Zwischendurch sprang sie aber immer wieder auf, um irgendetwas zu holen oder nervös aus dem Fenster zu sehen. Jetzt, als der Butler den Besuch des Schreibers Simon Greenborough ankündigte, wirkte sie aufgeregt. Nora machte Anstalten aufzustehen, als ob sie annähme, Thomas Reed würde den Besuch in einem der förmlicheren Empfangsräume erwarten wollen. Dafür sah ihr Vater allerdings keinen Anlass, denn er erwartete offensichtlich keinen Höflichkeitsbesuch, sondern eine geschäftliche Angelegenheit. Auch wenn sich die Meldung des Butlers anders anhörte.
»Mr. Reed, Viscount Simon Greenborough wünscht, Ihnen seine Aufwartung zu machen.«
Thomas Reed lächelte. Das sah dem jungen Simon ähnlich: Immer korrekt bis zur Karikatur – wer sonst würde sich mit all seinen Titeln ankündigen lassen, um irgendeinen dringenden Brief oder eine Akte vorbeizubringen? Und dann hatte der Schreiber, der sich jetzt schüchtern, aber aufrecht hinter dem Butler ins Zimmer schob, sogar Blumen mitgebracht! Thomas fand das aufmerksam, aber übertrieben.
»Mr. Reed … Miss Nora …« Simon verbeugte sich förmlich.
»Kommen Sie rein, Simon!«, rief Thomas jovial. »Was liegt an um diese späte Stunde? Hat Morrisburg endlich geantwortet? Liefert er die Ware? Oder haben Sie was von diesem Schiff gehört, das angeblich verloren gegangen ist?«
Simon schüttelte den Kopf. Thomas Reeds Ansprache brachte ihn aus dem Konzept. Und was machte er jetzt überhaupt mit diesem Blumenstrauß?
»Was für schöne Blumen!«, brachte Nora ihren Satz an und lächelte ihm aufmunternd zu. »Für mich?«
Thomas Reed verdrehte die Augen. »Das nehme ich doch mal an, Kind, ich würde es jedenfalls befremdlich finden, wenn Mr. Greenborough mich mit floralen Zuwendungen bedenken würde. Wäre aber nicht nötig gewesen, Simon, dies ist schließlich kein Höflichkeitsbesuch, und so dicke haben Sie’s ja auch nicht …«
Simon errötete, als der Blick des Kaufmanns auf seinen abgenutzten Rock fiel.
»Doch«, brach es dann aus ihm heraus. »Also, es ist doch eher ein …«
»Nun geben Sie mir erst mal die Blumen«, lächelte Nora.
Simon brauchte Zeit, sich wieder zu fangen. Dies war natürlich sein erster Heiratsantrag, und mit dem Reden aus dem Stegreif hatte er es ohnehin nicht allzu sehr. Ihr Liebster schrieb wunderschöne Briefe, und wenn sie allein waren, sonnte Nora sich in seinen
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