Die Insel Der Tausend Quellen
Nordostküste. Bis ich den Gouverneur alarmiert hätte, hätten sie dich längst umgebracht. Außerdem will ich nicht gehen. Ich bin genau da, wo ich sein will.«
Sie bettete Doug vorsichtig auf ihren Schoß, nachdem sie aus dem Rest ihres Unterrocks Verbandsstreifen für die Wunden an seinem Rücken gerissen hatte. Auch wenn sie sonst nichts für ihn tun konnte, die Striemen sollten wenigstens nicht mit dem Lehmboden in Berührung kommen und weiter verschmutzen.
»Du willst mir nur deine Beine zeigen«, bemühte sich Doug zu scherzen, als sie dann auch ihren weiten Rock zerriss. »Das … das machst du immer, denk … denk an den Hurrikan.«
Nora zwang sich zu lächeln. »Ich bin und bleibe kokett«, bemerkte sie. »Wie konntest du dich nur in eine so leichtfertige Frau verlieben?«
»Ich hab mich in eine Meerjungfrau verliebt«, flüsterte Doug. »Ich sah dich am Strand … mit deinem Pferd. Weißt du, dass ich das Pferd noch habe? Und ein Fohlen. Wenn … wenn wir heimkommen, können wir am Strand entlanggaloppieren …«
Nora streichelte sein Gesicht. Sie spürte jetzt schon, dass er fiebrig wurde. »Aurora wird Amigo nur wieder abhängen«, sagte sie.
Doug schüttelte den Kopf. »Aber nicht ihren Sohn. Nicht den Araber. Weißt du nicht mehr? Sie war bei Keensleys Wunderhengst. Das Fohlen … das Fohlen könnte Rennen gewinnen … Wenn wir zu Hause sind, werden wir …« Doug sprach mit schwächer werdender Stimme von wilden Jagden im Sattel der Kinder der Wüste.
Nora bettete ihn bequemer und versuchte, nicht an Simon zu denken. Es war wieder wie damals. Sie hielt einen Mann in den Armen, der Geschichten erzählte. Sie hatte nichts in der Hand, um den Tod aufzuhalten, nur ihre Träume. Irgendwann schlief sie ein. Vielleicht war ja auch dies ein Traum, ein Albtraum, gesandt von einem eifersüchtigen Geist.
KAPITEL 9
D er Albtraum war nicht vorbei, als Nora erwachte. Doug lag immer noch in ihren Armen, jetzt glühend vor Fieber. Sie versuchte, ihm Wasser zu trinken zu geben, aber er konnte kaum schlucken. Wahrscheinlich würde er auch nichts essen können – falls irgendjemand in Nanny Town ihnen etwas zukommen ließ. Es war halbwegs hell in der Hütte, die Sonne musste also schon recht hoch am Himmel stehen. Dann öffnete sich die einfache Bambustür, und der mürrische Wächter ließ Máanu ein. Sie brachte einen Topf mit Linseneintopf, etwas Fladenbrot – und einen Tiegel Salbe. Nora roch sofort, dass es der Balsam war, den Nanny anmischte. Sie hatte wenig Vertrauen dazu, aber immerhin hatte er damals gegen ihre ärgsten Schmerzen geholfen.
»Das war alles, was ich hatte«, entschuldigte sich Máanu. »Ich habe kein Talent zur Baarm Madda, das weißt du ja.«
Nora nickte. »Wir verdanken dir schon mehr, als wir je vergelten können«, sagte sie steif. »Was ist mit Nanny?«
Nanny hätte mehr Heilmittel gehabt. Vor allem hätte sie Nora den Zugang zu ihren eigenen Vorräten ermöglichen können. Máanu zuckte in ihrer charakteristischen Manier die Schultern.
»Nanny und Quao beraten sich noch«, meinte sie. »Darüber, was mit euch passieren soll.«
Nora hob die Brauen. »Ob Akwasi sein begonnenes Werk fortsetzen darf ?«, spottete sie.
Máanu schüttelte den Kopf. In ihren Augen stand Kummer.
»Akwasi wurde aus Nanny Town verbannt«, sagte sie leise. »Ich wollte mitgehen, aber er … er war so voller Wut, ich dachte, er tut mir etwas an. Und den Kindern …« Als sie Noras entsetzten Blick sah, fügte sie schnell hinzu: »Jefe ist bei Nanny, Dede bei Princess, mach dir keine Sorgen.«
»Nanny hat ihn geächtet?«
Nora konnte es kaum glauben. Doug in ihrem Arm hob mühsam die Lider. Anscheinend folgte er dem Gespräch, ein gutes Zeichen. In der Nacht hatte Nora schon gedacht, dass sie ihn längst im Fieberwahn verloren hatte.
»Verbannt«, wiederholte Máanu. »Er darf nie zurückkehren, Cudjoe und Accompong werden ihn auch nicht aufnehmen, da sind schon Boten unterwegs. Aber er kann natürlich auch allein überleben, er …« Sie biss sich auf die Lippen.
»Wa… warum?«
Doug stieß die Worte mühsam hervor. Nora tauchte ein Tuch ins Wasser und befeuchtete seine Lippen.
»Tausend Gründe«, antwortete Máanu. »Unbotmäßigkeit, Amtsanmaßung … Gefährdung des Friedens … Wenn dem Gouverneur zu Ohren käme, hier würden Weiße zu Tode gequält, wäre es aus mit der Anerkennung der Maroons.«
»Dann verstehe ich nicht, warum man uns hierlässt und …«
Nora sprach nicht weiter,
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