Die Insel Der Tausend Quellen
schlicht egal, ob ihr Opfer irgendeines Vergehens schuldig oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
»Ich bin nicht dein Besitz!«, rief Nora.
Ihre leuchtend grünen Augen schienen dabei Funken zu sprühen. Doug schaute auf und sah sie an. Sie war so schön – wenn er sie nur ansehen durfte, während er starb.
Die Männer beachteten Noras Einwand nicht. Sie lachten nur, als Akwasi weitersprach.
»Was also schuldet uns dieser Sklave?«, schrie er in die Menge.
»Zuckerrohr!«, antworteten ein paar der Männer.
»Arbeit!«, riefen einige andere.
»Soll sein gute Knecht!«, zitierte einer grinsend die Vorhaltungen Reverend Stevens’.
»Richtig!«, rief Akwasi mit einem scheinbar ernsten Nicken. »Aber was tat der Sklave? Er lief weg. Ein erstes Mal … Was steht als Strafe fürs Fortlaufen? Zum ersten Mal?«
»Fünfzig Peitschenhiebe!«
»Dreißig Peitschenhiebe!«
»Siebzig!«
Anscheinend differierten die Strafen je nach Plantage. Nur wenige Pflanzer hatten wohl die Höchstmenge von siebzig verhängt, schließlich wollten sie die Arbeitskraft ihres Sklaven ja weiter nutzen.
»Sagen wir fünfzig!«, grinste Akwasi. »Aufseher?«
Einer der kräftigsten Männer, ein riesiger Schwarzer, den Nora nur vom Sehen kannte, ergriff die Peitsche. Er kam nicht aus Cascarilla Gardens, sondern war von einer Plantage östlich von Kingston befreit worden. Überhaupt fanden sich nur wenige frühere Sklaven der Fortnams unter den Zuschauern. Die meisten von ihnen kannten noch den Unterschied zwischen Elias und Doug. Wahrscheinlich schämten sie sich für Akwasis Rachefeldzug. Aber wie die Maroons würden auch sie nicht Partei ergreifen. Ein Weißer in Nanny Town war vogelfrei.
Unter den Jubelschreien der ehemaligen Sklaven knallten jetzt die ersten Peitschenhiebe auf Dougs nackten Rücken. Er bäumte sich darunter auf, schrie allerdings nicht, wobei sich in diesem Stadium noch fast jeder Sklave beherrscht hatte, den Nora je an einem Baum hatte hängen sehen. Erst als die Haut aufplatzte und die Peitsche schließlich immer tiefere Wunden riss, hielten die Männer es nicht mehr aus. Dougs Lippen entrang sich das erste Stöhnen beim achtzehnten Schlag, als ihm das Blut bereits den Rücken herunterlief. Nora suchte verzweifelt seinen Blick, um ihm Mut zu machen.
Doug, der bisher den Kopf gesenkt hielt und in seine eigene Welt versunken wirkte, schien das zu spüren. Er hob den Kopf, sah ihr in die Augen – und lächelte.
Akwasi brüllte seinen Zorn darüber hinaus. »Was machst du, Kerl?«, rief er den Aufseher an. »Schon müde? Der Sklave lacht über dich. Will ihn einer ablösen?«
Ein anderer Mann ergriff unter den Zurufen des Publikums die Peitsche. Die nächsten Schläge erfolgten mit neuer Wucht. Doug hielt sich inzwischen nicht mehr auf den Beinen. Er hing nun wirklich an dem imponierend großen Blauholzbaum, den Akwasis Leute für die Bestrafung ausgesucht hatten. Die Blätter des Baumes leuchteten im Sonnenlicht purpurrot – wie Dougs Blut. Nora schwindelte, aber sie musste stark sein. Sie musste noch Kraft haben, wenn ihr später womöglich das Gleiche drohte. Akwasi würde sich zweifellos auch an ihr schadlos halten für die Flucht.
Doug versuchte jetzt, sein Schreien zu unterdrücken, indem er sich auf die Lippen biss. Sie waren bald so blutig wie sein Rücken. Aber er schaffte es wirklich, Akwasi die Genugtuung nicht zu geben. Mit fast übermenschlicher Anstrengung versagte er sich jede Schmerzensäußerung. Beim sechsunddreißigsten Schlag verlor er das Bewusstsein.
»Und nun?«, fragte Akwasi grinsend ins Publikum.
»Wasser!«, antworteten die Männer mit einer Stimme.
Sie wussten noch zu genau, wie es auf den Plantagen zugegangen war. Nora graute vor ihren gnadenlosen Gesichtern. Akwasi leerte einen Eimer Wasser über Dougs regloser Gestalt.
Doug kam hustend wieder zu sich.
»Weiter?«, fragte der Aufseher, halb an Akwasi, halb an sein Opfer gewandt. Doug kämpfte um seine Haltung, aber er schaffte es, ihm den Kopf zuzuwenden.
»Ich warte«, stieß er zwischen seinen geschundenen Lippen hervor.
Akwasi biss die Zähne zusammen. Schließlich erfolgte der fünfzigste Schlag. Doug hing schweiß- und blutüberströmt in seinen Fesseln – und auch der Mann mit der Peitsche wirkte erschöpft.
Akwasi gab beiden etwas Zeit, zu Atem zu kommen, auch die Männer im Publikum beruhigten sich jetzt. Dann vergewisserte er sich mit einem Blick, dass der Gefangene bei Bewusstsein
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