Die Insel Der Tausend Quellen
Matratze auf die Einkaufsliste für den nächsten Tag. Simon schien ebenfalls schlecht zu schlafen, er wurde von Albträumen geplagt. Nora hörte, dass er sich im Fieber hin und her warf und immer wieder hustete. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, stand auf und kuschelte sich schüchtern neben ihn auf seine schmale Bettstatt. Und tatsächlich schien sich der Kranke zu beruhigen, als sie die Arme um ihn legte. Sie zog seinen Kopf an ihre Schulter und empfand fast etwas wie Glück, als er im Halbschlaf ihren Namen murmelte. Auch das Husten hörte auf, gegen Morgen schien Simon tief und ruhig zu schlafen.
Nora störte nun nur noch das Huschen der Ratten und Mäuse in der Mansarde, aber das würde wohl mit dieser Nacht ein Ende finden. Nora hatte blutenden Herzens etwas von ihrem kostbaren Käse mit Rattengift präpariert und wünschte den Tieren boshaft einen guten Appetit, bevor sie endlich einschlief.
Simon war peinlich berührt, als er am Morgen in Noras Armen erwachte, aber er fühlte sich besser als am Tag zuvor.
»Willst du mich nicht küssen?«, fragte seine Liebste schlaftrunken, als er sich neben ihr regte.
Simon küsste sie sanft, aber etwas widerstrebend auf die Stirn. Es war nicht richtig, was er hier tat. Es entsprach nicht dem Verhalten eines Gentleman, vor der Hochzeit mit seiner Liebsten das Bett zu teilen. Aber andererseits hatte er sich nie so glücklich gefühlt wie beim Anblick von Noras gelöstem Haar auf seinem Kissen. Er spürte ihren kleinen, festen Körper neben sich und dachte daran, wie schön es wäre, sie zu lieben. Vorsichtig ließ er seine Lippen über ihre Schläfen zu ihrem Mund und ihrem Hals wandern, liebkoste den Ansatz ihrer Brüste – und kämpfte mit dem ersten Hustenanfall dieses Tages.
Nora, die sich entspannt lächelnd Simons Zärtlichkeiten überlassen hatte, fuhr alarmiert auf.
»Ich muss den Arzt holen!«, sagte sie. »Und du bleibst diesmal liegen. Nicht dass du dich wieder überanstrengst wie gestern.« Sie fuhr zärtlich über sein schweißfeuchtes Haar. »Ruh dich einfach noch ein bisschen aus. Ich hole dir Wasser zum Waschen.«
Nora setzte Wasser auf – sie hatte immerhin ein paar Kräuter erstehen können, die den Tee ersetzen sollten – und warf ihr Kleid über ihr Unterzeug, in dem sie geschlafen hatte. Sie brauchte unbedingt ein Nachthemd … am besten ein hübsches, schließlich würde Simon sie darin sehen …
Nora fühlte sich besorgt, aber auch beschwingt, als sie die Treppen hinunterlief, was immer einem Spießrutenlauf gleichkam. Wenn Mrs. Paddington sie bemerkte, fand sie stets einen Grund, um sie zu schelten oder sie mit ihrer schrillen Stimme zu verhöhnen. Das ging Mr. und Mrs. Tanner allerdings nicht anders – ihre Vermieterin war einfach ein niederträchtiges Klatschweib, das es nicht lassen konnte, das Kommen und Gehen seiner Mieter boshaft zu kommentieren. An diesem Morgen schien Mrs. Paddington allerdings noch zu schlafen, und Nora konnte ihren Wasserkrug ungestört füllen. Angeekelt blickte sie auf die trübe Brühe, die da durch ausgehöhlte Baumstämme in die Armenviertel geführt wurde. Das Wasser kam aus der Themse. Und jedes Abwasser rann auch wieder in die Themse – kein Wunder, dass die Tanners und die Paddingtons und sicher auch all die anderen aus dem Eastend lieber Gin tranken. Wie das Bier war auch der Schnaps billiger als das mühsam vom Land herbeigeschaffte Quellwasser, das Nora am Tag zuvor erstanden hatte. Und obendrein half er, die Hitze und Feuchtigkeit, die abgestandene Luft und die stundenlange harte Arbeit in den Fabriken zu vergessen.
Zum Waschen und zu einer Erfrischung, so hoffte Nora, würde das Stadtwasser taugen. Sie seihte es vorher aber trotzdem noch durch ein Tuch, wie sie es am Vorabend bei Joan gesehen hatte. Die pflegte es auf diese Art zum Kochen vorzubereiten.
Simon lag wie geheißen still im Bett, als Nora zurückkam, und ließ es diesmal sogar zu, dass sie ihm half, sich zu waschen und ein frisches Hemd anzuziehen. Nora erinnerte sich daran, wie ihre Kinderfrau mit einem nassen Tuch über ihren verschwitzten Körper gefahren war, wenn sie krank war. Es war fast wie eine Liebkosung, und Simon schien es auch so zu empfinden. Er stöhnte wohlig – und irgendetwas veränderte sich an seinem Unterkörper, aber Nora war zu schüchtern, um genau nachzusehen. Dann küsste er sie mit ungewohnter Leidenschaft. Nora fragte sich, ob er nun mit dem begann, was eigentlich in der Hochzeitsnacht geschah.
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