Die Insel Der Tausend Quellen
allerdings nicht, ob der Brief ihn schon erreicht hat. Amsterdam ist weit … Ich zweifle nicht daran, dass er Sie zurückholen wird, sobald er …«
»Bis dahin können noch Wochen vergehen!«, flehte Nora. »Simon wird längst gesund sein, er …«
»Der Botenjunge sagt, er hat die Schwindsucht«, bemerkte Peppers hart. »Und wenn ich mich so daran erinnere, wie er in Ihrer Kutsche gehustet hat …«
»Das ist nur eine Erkältung, Peppers!«, erklärte Nora. »Bestimmt, es geht ihm schon besser. Ich … ich weiß, was ich tue.«
Der Kutscher schürzte die Lippen und sah die junge Frau erneut prüfend an. »Sie kampieren mit ihm in diesem Loch im Eastend?«, fragte er. »Sie spielen da die Hausfrau?«
Nora hielt dem Mann ihre aufgesprungenen Hände hin und blitzte ihn an. »Das ist kein Spiel!«, sagte sie böse. »Wenn mir nur endlich jemand glauben würde, dass dies kein Spiel ist!«
Peppers rieb sich die Stirn. »Also schön, Miss Nora«, meinte er abschließend. »Ich sage niemandem, dass ich Sie gefunden habe. Aber ich kann Ihnen auch nicht helfen. Ich käme doch in Teufels Küche, wenn ich Ihnen jetzt Geld brächte, oder …«
»Ich brauche keine Hilfe!«, behauptete Nora. »Lassen Sie uns lediglich in Ruhe.«
Peppers hob ungläubig die Brauen und unterdrückte ein Seufzen. »Dann gehen Sie mit Gott, Miss«, murmelte er. »Und ich hoffe, Ihr junger Lord weiß Sie zu schätzen …«
KAPITEL 6
N ora lief beschwingt zurück ins Eastend – die Unterredung mit Peppers war ein bisschen unangenehm gewesen. Es war ihr peinlich, dass der alte Diener sie in einem Kleid gesehen hatte, das im Reed’schen Haushalt nicht mal ein Hausmädchen getragen hätte. Aber im Grunde hatte das Gespräch sie erleichtert. Der Kutscher hatte ihr bestätigt, was sie die ganze Zeit gehofft hatte: Es konnte noch Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis ihren Vater der Brief seines aufgebrachten Bürovorstehers erreichte. Und dann musste er sich erst auf die Rückreise machen. Wenn alles gut ging, wäre Simon bis zu seiner Heimkehr längst genesen, hatte eine neue Stellung, und Nora hatte ihrem Vater bewiesen, dass sie es ernst meinte. Sicher tuschelte jetzt schon die halbe Kaufmannschaft über seine entlaufene Tochter. Er würde gar nicht anders können, als Simons und ihre Verbindung zu segnen.
Erst die Rückkehr in das Mietshaus ernüchterte Nora. Mrs. Paddington lauerte ihr wieder auf und erinnerte sie diesmal auch an die ausstehende Wochenmiete. Es war nicht viel, aber Nora würde das Geld allein aufbringen müssen, Simons Ersparnisse waren sicher aufgebraucht. Also musste sie wieder irgendetwas versetzen. Nun, immerhin würde sie ganz bestimmt kein Geld an Simons Gläubiger und seine nimmersatte Familie schicken! Sollte Lady Samantha sehen, wo sie blieb!
Der Gedanke daran munterte Nora zwar wieder etwas auf, aber dann wurde sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die junge Frau schaute noch kurz nach den Tanner-Kindern, bevor sie die Stiege hinaufkletterte, und sorgte sich, weil die kleine Sarah schniefte und hustete. Das Feuer im Kamin der Tanners war längst erloschen, und Nora fand kein Holz, um es wieder anzufachen. Nun, sie würde sowieso gleich einen Kräuteraufguss für Simon zubereiten, da konnte sie dem Kind auch etwas herunterbringen. Bis Mrs. Tanner zurückkehrte, würde es noch Stunden dauern, die Weberei schloss erst spät. Mr. Tanner arbeitete nicht ganz so lange, aber er ließ den Tag gern bei ein paar Gin im Pub ausklingen. Um seine Kinder kümmerte er sich nie.
Simons Anblick brachte Nora dann vollends zurück in die Wirklichkeit. Er sah schlecht aus, wirkte noch abgezehrter und blasser als am Tag zuvor und mochte nichts essen. Als Nora ihm wenigstens etwas Kräutersud einflößen wollte, klagte er über Schmerzen in der Brust. Sein Atem ging unregelmäßig und schnell.
Nora beschloss, Dr. Mason am nächsten Morgen vor Tau und Tag aufzulauern. Sie versorgte das Tanner-Mädchen und schmiegte sich dann gleich neben Simon. Sein Körper glühte vor Fieber, aber er schaffte es doch, Nora in den Arm zu nehmen. Glücklich lag sie an seiner Schulter und erzählte ihm erst von ihrem Treffen mit Peppers, um dann gleich erneut zu träumen.
»Mein Vater wird einlenken, bestimmt. Und da es hier doch nun einen Skandal gegeben hat, hält er es bestimmt für eine gute Idee, uns erst mal ein paar Jahre wegzuschicken. Was meinst du, Liebster, Barbados? Es ist das ganze Jahr warm dort, und es regnet auch gar
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