Die Insel Der Tausend Quellen
greifen und seine nackte Brust zu liebkosen. Es gab keinen Grund, das jetzt nicht wieder zu tun.
Während sie Simons spärliche Besitztümer noch durchsah, kam Joan mit dem frischen Bettzeug – tatsächlich Daunendecken. Was allerdings den Bezug anging … Nora wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Auf jeden Fall würde sie waschen müssen. Gleich am kommenden Tag, sobald sie … Himmel, sie würde einen Zuber brauchen und Töpfe zum Kochen und all diese Dinge, von denen sie kaum wusste, was man damit tat! Das Wort Aussteuer gewann plötzlich eine ganz andere Bedeutung, bisher hatte sie dabei nur an Silber und Porzellan, feine Möbel und Tischwäsche gedacht.
Simon ließ zu, dass Nora ihm in ein frisches Nachthemd half. Die neuen Decken und ein weiterer Becher von dem Biersud wärmten ihn wenigstens so weit, dass er nicht mehr zitterte. Nora setzte sich zu ihm, streichelte seine Stirn und massierte seine Schläfen, und als sie begann, von Barbados zu erzählen, schlief er gleich ein. Die Kälte hatte ihm wohl zu lange den Schlaf geraubt.
Nora dachte darüber nach, wo sie selbst sich in der kleinen Kammer zur Ruhe legen konnte. Aber erst aß sie ein wenig von dem Eintopf, den Joan vorbeibrachte, und dann erschien Bobby – mit einem großen Korb voller Feuerholz.
»Im Kontor ist der Teufel los, Miss, Ihr Kutscher hat nach Ihnen gefragt. Er sucht Sie«, erzählte der Junge, während er den Kamin anfeuerte. Nora schaute aufmerksam zu. Sie hatte das noch nie selbst getan, aber sie würde es lernen müssen. »Ich hab natürlich nichts verraten, aber sie vermuten schon so was.« Eine Bewegung seiner sprechenden Hände umfasste die Mansarde. »Ich glaub, sie wollen Ihren Vater benachrichtigen …«
Nora nickte, obwohl ihr mulmig zumute war. Gut, ihr Vater war jetzt auf See, der Brief konnte ihn frühestens mit dem nächsten Schiff in Amsterdam erreichen. Peppers traute sie jedoch durchaus zu, Simons Adresse ausfindig zu machen. Würde er hier auftauchen und sie herausholen? Ohne ausdrückliche Aufforderung seines Herrn? Nora war sich nicht sicher. Peppers betete sie an, aber er war Thomas Reed ein treuer Diener. Wahrscheinlich würde es von seiner Einschätzung der Lage abhängen: Wenn auch er ihre Liebe zu Simon für kindische Schwärmerei hielt, dann würde er sie zwingen, ihren Liebsten zu verlassen.
An diesem Abend geschah jedoch nichts. Ob Peppers die Anschrift noch nicht hatte? Mr. Simpson pflegte früh nach Haus zu gehen, und Mr. Wilson hatte Nora vielleicht nicht verraten. Aber womöglich war der alte Kutscher auch unschlüssig. Nora rollte sich, in ihren Mantel gekuschelt, vor dem heimelig flackernden Kaminfeuer zusammen und dachte, dass sie erst mal zufrieden sein konnte mit dem, was sie an diesem Nachmittag erreicht hatte.
Allerdings konnte sie ihren Schlaf nur kurze Zeit genießen. Simons Husten und seine mühsamen Atemzüge raubten ihr die Ruhe, und dann … Entsetzt schrak sie auf, als kleine ledrige Füßchen über ihre nackten Beine tapsten. Mäuse! Oder womöglich gar Ratten! Nora würde Gift auslegen müssen – oder eine Katze anschaffen. Letzteres war ihr sympathischer, aber sie machte sich schon im Vorfeld Sorgen um das Tier. Das Fleisch im Eintopf war Nora sehr seltsam erschienen.
Und dann, in der zweiten Hälfte der Nacht, begann Nora, sich um ihr Geld zu sorgen. Die Dinge waren billig im Eastend, aber dennoch verschlangen die notwendigsten Maßnahmen und Anschaffungen einen Penny nach dem anderen. Noras Börse würde bald leer sein. Die junge Frau geriet in Panik, als sie sich das vorstellte, aber dann erinnerte sie sich an die Existenz von Pfandleihen. Als Erstes würde sie ihren Reifrock versetzen. Die Frauen im Eastend taten gut daran, ohne herumzulaufen. Die voluminösen Röcke machten jede körperliche Arbeit unmöglich. Und von dem Geld würde sie einen Arzt bezahlen. Das war das Wichtigste. Simon brauchte einen Arzt.
KAPITEL 5
E s schien leicht, den Reifrock zu Geld zu machen – schließlich handelte Mrs. Paddington mit gebrauchten Kleidern. Sie machte Nora auch gleich ein Angebot, aber die tat ihr Bestes, den Preis höherzutreiben. Schließlich war sie eine Kaufmannstochter, und am Ende fiel ihr sogar die erste Regel ihres Vaters wieder ein: Immer mehrere Angebote einholen, bevor man sich auf einen Handel einließ.
Nora erklärte folglich Mrs. Paddington, sie würde sich noch bei anderen Kleiderhändlern umhören, worauf das Gebot ihrer Vermieterin sofort beträchtlich
Weitere Kostenlose Bücher